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"PREPARATIONS FOR IMMORTALITY"
ZURUESTUNGEN FUER DIE UNSTERBLICHKEIT

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http://www.theatre-contemporain.net/spectacles/preparatifs_pour_l_immortalite/frametop.htm


Peter Handke Preparatifs pour limmortalite
mise en scene de Christophe Perton

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Entretien avec Christophe Perton :

Quelle signification donnez-vous au fait quail saagisse dune creation au sein de laENSATT ?
Je vais entreprendre le travail avec les eleves de lENSATT comme une aventure artistique. Je nai pas de projet pedagogique en dehors du fait meme de monter la piece de Handke et par ailleurs je considere les eleves comme des = pre-professionnels = deja formes. La difference  et je la trouve interessante  cest lunite de generation des acteurs et la communaute de leurs parcours.

Quel est lintert de confronter de jeunes acteurs a ce texte ?
Le texte de Peter Handke represente une dramaturgie radicalement nouvelle pour le travail dun comedien qui ne la jamais abordee. Cest un terrain dexploration complexe qui offre des pistes vertigineuses (tant sur le plan de la langue que du jeu et du corps) dans son rapport au plateau.

Pourquoi avoir choisi de travailler sur Preparatifs pour limmortalite ?
A ma connaissance, ce texte na jamais ete monte en France. Il sagit dune epopee, sans doute difficile a envisager dune maniere scenique. Le texte semble dâabord impenetrable, difficile ; Handke nous livre un materiau riche et dense, a la fois textuel, visuel et physique. Son theatre nest ni pamphletaire ni didactique,
ni politique, et il est pourtant tout cela a la fois, insidieusement, par la force de son champ poetique. Cest une ecriture exigeante, qui interpelle de front le spectateur, et va le chercher dans ses lieux de pensee. Handke est un brouilleur de pistes et fait sentrechoquer
dans une geographie delirante, la Histoire et une mythologie qui lui est tres personnelle pour mieux questionner lunivers depuis les pharaons jusqua nos jours et poser inlassablement la question de la juste place de chacun et de la dereliction a laquelle lhomme semble voue.

La problematique paix / guerre est au coeur de la piece et semble poser la question du politique
Il y est surtout question de la justice, de leternelle recherche dune loi plus juste pour le monde, et de la remise en cause des valeurs dune societe. Dans cette piece la question de la justice est centrale. Handke y interroge lHistoire et le mythe, a la recherche du legislateur qui saurait creer une nouvelle loi pour le monde, gage du droit a lespace pour tous et  dun jour sans mort , signe de limmortalite.

Pourquoi travaillez-vous presque exclusivement le repertoire contemporain ?
Je ne fais pas dopposition farouche entre le classique et le contemporain. Mais jaime sentir, ligne apres ligne, que lauteur vit dans le mme temps que moi. Jai besoin de voir la presence du reel sur la scene. Certes, il existe par definition des sentiments et des situations seculaires, un meurtre reste un meurtre. Mais pour moi, il est evident quun auteur ¢inscrit le plus souvent dans une contemporaneite et est ce qui minteresse.


2001 =Theatre-contemporain.net=.
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Posted june 03


19.04.1997 SZ VOM 19.04.1997 SEITE 14 Feuilleton Endstation Alltag Das Theater Erlangen spielt ein Stueck auf dem Bahnhof Ankunft 19 Uhr 59. Bahnhof Erlangen, Gleis 1. Irgendjemand hat ein grelles Kunstlicht angeknipst, das einen beim Aussteigen blendet und der Situation des Ankommens etwas Surreales verleiht. Die Menschen sind irritiert. Singt jetzt gleich ein Empfangskomitee, oder ist hier ein Filmteam am Werk? Mitten auf dem Bahnsteig: ein Strassencafe. Es ist schweinekalt draussen, und doch sind saemtliche Tische besetzt. Eingemuemmelt in Decken, schluerfen die Gaeste Gluehwein und gucken den Reisenden beim Ein- und Aussteigen zu. Paare, Passanten. Am Nebentisch sitzt eine aeltere Dame mit auffallendem Glitzerturban. Nach einer Weile laesst sie sich auf ein Schwaetzchen mit dem Kellner ein. Die Auffuehrung hat begonnen - das Theater aber fing schon bei der Ankunft an. Bahnhof Erlangen, Bahnsteig 1: Hier, wo eigentlich kein Bleiben ist, an einem Ort des Aufbruchs und der Rueckkehr, des staendigen Kommens und Gehens, macht Stefan Otteni sein Theater des Augenblicks. Es ist noch ephemerer als Theater ohnehin schon ist: Ein Vorueberhuschen von Menschen, Traeumen, Lebenslaeufen, von Gesichtern und Geschichten. Jeder einfahrende Zug spuckt mit den Reisenden auch einen Haufen Sehnsuechte aus und nimmt andere mit in die Nacht, irgendwohin Richtung Halle, Bamberg, Lichtenfels. Dort drueben, der Mann mit den Blumen - auf wen mag er warten? Oder das knutschende Liebespaar auf Bahnsteig 2 - Schauspieler nur? Der ganze Bahnhof wird ploetzlich zur Buehne - und damit zum idealen Schauplatz fuer ein Stueck, das schnappschussartig auf die Menschen blickt: Ganze Tage, ganze Naechte. Szenen Polaroid von dem Franzosen Xavier Durringer. Eine Entdeckung: Durringers Text, in der Erlanger Fassung als deutsche Erstauffuehrung zu sehen (Uebersetzung: Ina Schott), hat den Hautgout der Strasse und folgt in seiner dramatischen Struktur den Prinzipien der Sofortbildphotographie. Durringer, 1963 in Paris geboren und dort Leiter einer freien Theatergruppe, schreibt wie ein Handke, der irgendwo auf einem Marktplatz sitzt und in einer Stunde, da wir nichts voneinander wussten, die vorbeiflanierenden Passanten beobachtet. Doch er laesst sie nicht einfach stumm vorueberziehen, sondern greift sieben davon heraus und gibt ihnen eine Sprache, einen rauhpoetischen Jargon. Wie aus dem Stegreif heraus erzaehlen die Figuren Geschichten. Geschichten, die wie Blitzlichter aufzucken und einen Moment lang eine Person erhellen. In Stefan Ottenis Inszenierung ist das ganze Stueck auf die Bahnhofssituation gemuenzt: Fred (Dietmar Proell) und Lucie (Christel Mayr) bedienen als Kellner an den Bistrotischen, an denen die Zuschauer sitzen. Sie sind seit Jahren ein Paar und geraten sich alle Nase lang in die Haare. Eifersucht, Traenen, Liebesschwuere, Kuesse - sie spielen die ganze Palette. Die strahlende Single-Frau Elke, die im Original Sylvie heisst, traegt die Uniform einer Zugbegleiterin der Deutschen Bahn. Weil sie Feierabend hat, schmeisst sie sich vor aller Augen in ein kesses Outfit und wartet mal wieder darauf, dass irgendwas passiert, eine richtig grosse Sache. Vorerst flirtet sie mit dem jungen Mann vom Nebentisch. Der heisst hier Helmut (Stephan Wapenhans) und wartet vergeblich auf die Frau seiner Traeume. Aber Elke ist ja auch nicht schlecht, zumal Carmen Dalfogo ihr ein so herzerfrischend wonniges Wesen verleiht. Den ueberlebenstuechtigen Underdog Pierre hat der Regisseur mit dem tuerkischen Schauspieler Tugsal Mogul besetzt. In einem eindrucksvollen Alles-egal-Solo schreit er sich seinen Lebensfrust von der Leber: Scheiss drauf! Eva Hoerbiger ist die alte Dame mit Turban, die Frau ohne Kind. Sie ueberspielt ihre Einsamkeit mit laechelnder Nonchalance. Einst liebte sie einen Elektriker. Drueben, auf Gleis 2, richtet der verspottete Transvestit Paquita (Michael Althauser) seinen gleissenden Scheinwerfer auf uns. Ihr liebt schlecht!, ruft er herueber, und dass wir nichts kapiert haetten. Ringsum wundern sich die Passanten. Reisende recken ihre Koepfe neugierig aus den Zugfenstern: Bahnhof Erlangen - was ist hier los? Immer wieder gelingen Otteni irritierende Bilder, Situationen, in denen die Grenze zwischen Theater und Wirklichkeit voellig verschwimmt und Wahrnehmung sich erweitert. Erstaunlich, wie gut dieses Reality-Theater funktioniert - der normale Bahnbetrieb geht schliesslich weiter, Regionalbahnen fahren ein, Gueterzuege donnern vorbei, staendig muessen die Schauspieler improvisieren. Und dennoch bleibt Raum fuer Theatererfindungen: der Eisbaer, der sich in der Kaelte der Nacht auf die Gleise verirrt hat, das Klavier auf Bahnsteig 2, die Liebeserklaerung per Durchsage - schoenste Bahnhofs-Poesie. Zwar fehlt es der Auffuehrung - bedingt durch den Ort - an jenen zarten und leisen Momenten, die der Text durchaus hat. Christel Mayr und Dietmar Proell spielen das kellnernde Liebespaar allzu forciert, schreien und geifern, was die Lunge hergibt. Doch durch die Statisterie auf der Buehne Bahnhof gewinnt das Stueck eine Authentizitaet, die Durringers Alltagssprache allein gar nicht erzeugen koennte. Der Bahnhof als Buehne - gerade in Erlangen ein symboltraechtiger Ort. Nachdem der Stadtrat den Vertrag des Intendanten Andreas Haensel nicht verlaengert hat, ist die Zukunft des Theaters ungewiss. Keiner weiss, wohin die Reise geht. CHRISTINE DOeSSEL SZ-ONLINE: Alle Rechte vorbehalten - Sueddeutscher Verlag GmbH *0 ART-NR: 4881183 VORGANG: Inszenierungen in Deutschland / TheaterBESPRECHUNG ZU: Ganze Tage, Ganze Naechte, Szenen / SchauspielDatenbank SZ Dokumentennummer: 049719158


17.03.1997 SZ VOM 17.03.1997 SEITE 14 Feuilleton Aufbaeumen im Woerterwald Peter Handkes neues Schauspiel Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit in Frankfurt Die Vergangenheit liegt auf dem Tisch. Boot und Wagenrad haben die Menschen als Strandgut in die Enklave gebracht. Hans Hollmann interpretiert Peter Handkes neuestes Koenigsdrama mit antipathetischem Zwinkern, das von Hans Hoffers buehnenmagischem Kuenstlertum und Hans Thomallas Musikerschwall untrennbar ist. Oft fuehlt man sich in Handkes Weltecke wohltuend gelangweilt, wie ehedem Leonce und Lena im Reiche Popo, wo sich Buechners Staatsraete im Kreise drehen. Vielleicht ist es so, sagen sie vielleicht ist es aber auch nicht so. Bei Handke beschwoert die Erzaehlerin, Inkarnation eines postmodernen Schutzengels, eine andere Zeit. Sie ruft: Freut euch! Fuerchtet euch! Entschieden ist nichts. Die Hoffnung der Erzaehlerin auf eine schoene Erscheinung taeuscht, der perfekte Businessman steht zum Schluss als Serienheld auf den Podest. Hans Hollmann benutzt Handkes teils in schoenster Poesie, teils in schwuelstiger Globalisierungspanik (Raumverdraengerrotte) komponierte Text- und Heilsgedankenlawine, durch die der kindliche Ruf nach einem neuen Koenig und die Frage nach dem Verbleib des Heimwehs weht, wie die Spielvorlage zu einer Oper. Eine Opernmaschine der Millionenmelodien, aber niemand singt, alle sind eingeschweisst in eine grandiose Lichtregie, die weit pompoeser als tiefe Dichterworte ist. Hans Hoffer senkt einen schwarzen Gazevorhang auf Frankfurts Cinemascopebuehne vor den anderen. Hinter der Wirklichkeit verbirgt sich immer eine zweite und dritte. Der Grossvater, der Rache! Rache? Gerechtigkeit! ins Dunkle ruft, sitzt, ausgeleuchtet zur Marionette, auf dem Schemel am Tisch, seine von durchziehenden Soldaten geschwaengerten Toechter stolzieren als dickbaeuchige Schneeweisschen und Rosenrot ueber die kahle Ebene, auf der vor kurzem ein Fallschirmjaeger landete und die Grenzbalken leuchteten. Hans Hollmann daempft das Shakespearesche Koenigsmuster und spielt ein bisschen k & k-Monarchie. Die Muetter der Bankerten sind kaltschnaeuzige Schwestern. Ihre Leibesfruechte Pablo Vega (Achim Buch) und Felipe Vega (Christian Nickel) sollen Hoffnungstraeger sein, sind aber Versager und stromlinienfoermige Nobodys. Peter Lerchbaumer spielt keinen Narren fuer gehobene Stunden, sondern einen Seppelhosen-Wortdreher, das Volk (Ingeborg Engelmann) widerlegt den Idioten und ist doch still, wenn er spricht. Dorothee Hartinger, Erzaehlerin, Kassandra einer leeren Zeit, fuehrt ein Engelchen mit stereotyp hohem Ton und gleichfoermigen Handbewegungen ueber die Erde. Die Schwierigkeit der Vorlage, die keine Charaktere, sondern Modelle in die Welt setzt, den Schauspielern viel Text aufs Auge, aber wenig Schauspielerisches zu tun gibt, haben Hollmann & Hoffer durch eine Buehnenbildaesthetik ueberglaenzt, die in ihren schlechten Einfaellen an Robert- Wilson-Remakes erinnert und in ihren vielen guten ein raffiniertes Duett zwischen filmischer Taeuschung und pragmatischer Realitaet ist. Wie aus einem Renaissancebild geschnitten, lag Pablo, Sohn des unbekannten Soldaten, unterm Purpurmantel und zoegert bei der Verkuendigung des neuen Gesetzes: Warum nicht Geheimnis? Immer wieder Geheimnis. Hollmann & Hoffer haben Handkes Koemmlings-Sehnsucht mit allen Buehnentricks von Sein und Schein in breiten zaubernahen Bildern heruntergespielt. Die Musikeinlagen kaempfen gegen die Furcht des gestandenen Mannes in Handkes dunklem, manchmal komischem Woerterwald wie Wasserwerfer an. Doch die Frankfurter Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit koennen sich sehen lassen. Sie beguenstigen die Poesie vor der Utopie. VERENA AUFFERMANN SZ-ONLINE: Alle Rechte vorbehalten - Sueddeutscher Verlag GmbH *0 ART-NR: 4727328 Firma: Schauspiel Frankfurt, Frankfurt/M. Namen: Hollmann, Hans / Kultur BESPRECHUNG ZU: Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit /SchauspielDatenbank SZ Dokumentennummer: 039717581


ELZEVIRO Piece teatrale a Vienna
Rinascita austriaca: il sogno di Handke

Lo scrittore si riconcilia con la patria e attacca i tedeschi
di ISABELLA BOSSI FEDRIGOTTI
Dopo il pandemonio - con code d insulti tra lo scrittore, alcuni politici e vari giornalisti - suscitato l anno scorso in tutta Europa, ma in Austria soprattutto, con il suo pamphlet Giustizia per la Serbia. Viaggio d inverno lungo i fiumi Danubio, S ava, Morava e Drina, Peter Handke manda in scena una piece di teatro che, tra grandi aspettative, dall 8 febbraio sara rappresentata al Burgtheater di Vienna. Sebbene Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit («Allestimenti per l immortalita»), di cui l ed itore tedesco Suhrkamp ha pubblicato il testo la settimana scorsa, tratti - a sorpresa - di una rinascita politica e morale dell Austria, potrebbe di nuovo scatenare le reazioni degli austriaci. L autore infatti, ritirato da anni nel suo esilio franc ese, torna a parlare del Paese natale con un coinvolgimento sentimentale cui i suoi lettori non erano piÃÆ’¹ abituati (o, meglio, non erano mai stati abituati), ma e difficile che l Austria prostata e semidistrutta che egli descrive possa davvero piacer e ai suoi connazionali. L azione si svolge in realta in Andalusia, un Andalusia che somiglia perÃÆ’² molto alla patria di Peter Handke. Intorno regnano campi di battaglia e morte, rovine e distruzione avanzano in tutto il mondo conosciuto. Solo l Anda lusia vive ancora, afflitta tuttavia da un provincialismo che la sta avvelenando, da un immobilismo che gia lascia intravedere il rigor mortis. La governa una squadra di invasori, falsari e usurpatori che hanno trasformato il Paese in una dittatura, che lesinano la luce e l aria, che legiferano sulla vita, sulla morte e su ogni cosa, decidendo perfino come ci si pettina, come si canta, come si fischia o si cammina. Non e difficilissimo intendere chi intenda Handke nelle vesti di questa razza t iranna: i vicini tedeschi che con il turismo, lo strapotere del marco, il cinema, la cultura, addirittura con le parole e con il cibo, lentamente hanno invaso - ora come allora - l adiacente repubblica alpina, trasformandola in una specie di Stato sa tellite, in una succursale un po piÃÆ’¹ povera e quindi ben disposta e servizievole verso gli occupanti. Realta forse non piacevole ma innegabile. Del resto anche Klaus Peymann, brillante e contestato direttore del Burgtheater di Vienna, avalla questa lettura del testo di Handke, sia pure - in quanto egli stesso tedesco e quindi simbolo vivente della pacifica colonizzazione in atto - smorzandone un poco la portata. «Il riferimento - ha commentato - riguarda tutte le situazioni in cui l uomo e oppr esso da imperante mediocrita». Nella infelice enclave austro-andalusa inventata dallo scrittore e vessata dunque da padroni mediocri e danarosi, nascono perÃÆ’² due cugini, illegittimi entrambi: il primo, Pablo Vega, figlio della violenza, diventera u n campione della liberta, ardimentoso combattente per i diritti del suo popolo; il secondo, Felipe Vega, figlio dell amore, sara invece un artista sognatore. Crescono i due cugini opposti e complementari, nati per salvare il Paese, un messia guerrier o con spavalde fantasie d immortalita e l altro messia poeta sempre pronto a interrogarsi, a dubitare e dunque a fallire. Due messia che - con sottile autoironia da parte dell autore - insieme fanno Handke, interpretandone, ciascuno a suo modo, la do ppia personalita: quella austera - che meglio riconosciamo - del vate che condanna e assolve, e quella giocosa - ma assai piÃÆ’¹ segreta - del saltimbanco sorridente sempre sul punto di cancellare se stesso e quel che dice. Dopo aspra battaglia, duran te la quale scendono svolazzando dal cielo del teatro stormi di piccoli aerei di carta in fiamme, oltre che la grande piuma nera dell angelo della morte, i due cugini hanno la meglio sulla squadra dei tiranni. Pablo Vega e incoronato re e l Austria-A ndalusia si riscatta ripartendo dall anno zero dell utopia, in nome della quale vengono ristabiliti i diritti civili, abolita la pena di morte e realizzata ogni promessa. Quel che piÃÆ’¹ importa e che ciÃÆ’² avviene dappertutto, non solo nella provincia li berata dai due strampalati messia: ragione per cui, miracolosamente, la piccola nazione senza gloria ha scosso il giogo del regno del marco e si e trasformata in lievito che rinnova il mondo. Come dire - potrebbe essere questa la morale molto handkia na della piece -che se l uomo non si rimette a sognare, a dare libero corso alle sue fantasie, e destinato a un tragico tramonto. Dopo anni di denuncia o, nel migliore dei casi, di gelida indifferenza, Peter Handke torna dunque inaspettatamente a s pendere parole di speranza e di fiducia per il suo Paese («Vendetta» e la prima parola che cade in scena. «Vendetta e gustizia per questa nazione, grande nazione ai nostri occhi...»). Un nuovo trend filoaustriaco confermato dal fatto che l ultimo suo romanzo, In una notte buia uscii di casa, annunciato da Suhrkamp per i primi di marzo, e nuovamente ambientato a Salisburgo, citta del suo antico e a lungo detestato domicilio. Sapremo dal successo che la piece avra se gli austriaci ricambieranno qu esta tenerezza.*




10.02.1997 SZ VOM 10.02.1997 SEITE 13 Feuilleton Aus dem Koenigreich der Kunst in die Welt Claus Peymann inszeniert am Wiener Burgtheater die Urauffuehrung von Peter Handkes Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit Noch ein Koenigsdrama! Nach Botho Strauss Ithaka jetzt Peter Handkes Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit. Strauss erinnert sich eines Heils in der Vergangenheit, Handke imaginiert es in der Zukunft. Strauss denkt politisch, Handke deutet poetisch. So verschieden die beiden Werke sind, Abscheu und Utopie einen sie. Strauss und Handke ekeln sich vor der Jetztzeit. Und beide sehnen sich nach einem Koenig, der aufraeumt, der Frieden schafft und Gesetze entwirft; nach einem Raecher, der Gerechtigkeit schafft. Rettung ist ihr Loswort. Doch wer soll gerettet werden? Wer wird bedroht? Die Antwort von Strauss ist dezidiert: Der neuen intellektuellen Elite, zu der er sich zaehlt, geht es an den Kragen, den rechten Aussenseitern im linken Mainstream der Kulturindustrie; die herunterdemokratisierte Gesellschaft nach 1968 erlaubt keinen Widerspruch mehr und keine Entwuerfe. Handke ist weniger klar. Doch soviel ist deutlich: Der Schriftsteller moechte nicht fuendig, sondern findig werden!. Moechte das Volk aus der Zeitlosigkeit in eine andere Gesellschaft hinueberretten und wie sein Held Pablo Vega ein neues Gesetz, einen neuen Ausgangspunkt und eine neue Grundlage schaffen: Unser Ziel fuer das ganze Land: Traum und Arbeit, Arbeit und Traum. Was Handke 1982 in seiner Geschichte des Bleistifts forderte, wuenscht er noch heute. Wo moechten Sie leben?, fragte er damals und antwortete: Im Koenigreich der Kunst. Dieses Koenigreich baut er jetzt in seinem Koenigsdrama. Pablo, gezeugt von einer Tochter des Enklaven-Ahnherren, die ein Besatzer einst vergewaltigte, und erzogen, um die gefallenen Soehne des Ahnherren zu raechen, macht sich erst auf in die fremde, feindliche Welt. Er will beweisen, dass er ein Held ist, wie es keinen zuvor gab - Siegfried einmal ausgenommen. Dann kehrt er heim und wird unter der Leitung einer jungen schoenen Wandererzaehlerin, die ihn zum Manne nimmt, zum Erretter. Pablo schoepft Geistesstaerke aus dem Bewusstsein, Todesangst sei die reinste und Unsterblichkeitsenergie noch reiner. Er bekaempft mutig die Raumverdraengerrotte, die der Enklave mit kriegerischen Attacken das Leben schwermacht, und er schafft das neue Gesetz. Dieses muss sehen und gesehen werden. Denn: Blinde Gesetze gibt es genug. Zwar zoegert Pablo einige Momente, denn er fuerchtet die Macht und die Groesse, aber da die schoene Gemahlin Erzaehlerin ihm keine Schwaeche erlaubt, folgt er ihr: Tritt auf und tu dein Amt. Da sie nur sprechen, nicht aber handeln kann, braucht sie Pablo, der seinem Volk in der 13. und letzten Szene schliesslich die Gesetze bringt wie Moses: Die neuen Menschenrechte: Das Recht auf die Ferne, taeglich. Das Recht des Raumsehens, taeglich. Das Recht auf den Nachtwind im Gesicht, taeglich. Und ein erstes Grundsatzverbot: Das Verbot der Sorge. Und eine erste Pablo-Mahnung: Seid eingedenk, dass ihr einst in der Knechtschaft wart - bedenkt vor jedem Fremden die eigene Fremde mit. Just dieser Satz hat es Claus Peymann, dem Urauffuehrungsregisseur, besonders angetan. Er erzaehlt auf Achim Freyers mit schwarzer Erde zugeschuettetem Buehnenrund, vor gemalten blauen Bergen und Himmelsprospekt, auch das Maerchen von den zwei ungleichen Maennern: Pablo hat einen Vetter namens Felipe, der in derselben Nacht gleichfalls gewaltsam gezeugt wurde, mit dem kleinen Unterschied, dass seine Mutter die Vereinigung lustvoll erlebte, weshalb Felipe - so Handkes poetische Logik - erstens besonders haesslich ist, zweitens verkrueppelt zur Welt kam und sich, drittens, zu einem ziemlich mediokren Schoengeist entwickelte, einem Schreiberling, der sich seine Geschichten von der Erzaehlerin diktieren laesst. Peymann erzaehlt die Groteske von einem Volk, das die Eindringlinge ebenso fuerchtet wie einen neuen Koenig; das Rat sucht bei einem Idioten und sich nicht entscheiden kann, was zu tun ist. Doch eigentlich geht es Peymann um etwas anderes: Er sieht in der Handkeschen Raumverdraengerrotte und ihrem Haeuptling, der so gern Heil! rufen wuerde, wenn dieses Wort nicht verboten waere, die Kulturvernichter von heute. Die Skinheads noch dazu. Die Fremdenhasser und die Aggressoren im eigenen Land. Martialisch treten sie auf. Sie sind allgegenwaertig. Und unbesiegbar. Ein unausweichliches Gesetz Pablo und die Erzaehlerin haben zwar die letzten Worte und singen Handkes letzte Lieder, der Kampf jedoch geht weiter, die Feinde sind nicht besiegt. Gerade hat Pablo orakelt: Was ein Weg ist, weiss nur, wer auf dem Weg ist oder ihn ertraeumt. Gerade hat die Erzaehlerin geweissagt: Das neue Gesetz sei unausweichlich. Es wird kommen, umgreifend, ausschliesslich, fundamental. (...) Freut euch. Fuerchtet euch. Da stehen sie schon wieder da: Haeuptling Raumverdraenger mit seinen drei Gehilfen. Auf schweren, ueberhohen grauen Stiefeln. Riesig - kampfbereit. Claus Peymann macht Handkes Koenigsdrama kleiner. Das ist klug. Nein, er drueckt sich nicht um Handkes Utopie vom Staat der Dichter, vom Land, in dem die Verse bluehen und Raum und Zeit wieder eingerichtet sind als unvergaengliche grosse Werte, in dem das Wort Heimweh wieder Platz hat und die Traene Zaehre heisst. Doch er spielt nicht den Verkuender besserer Zeiten. Er will nicht der Kumpan von Handkes Nova sein, die schon 1981 in Ueber die Doerfer behauptete, aus ihr spreche der Geist des neuen Zeitalters . Peymann feiert vielmehr effektvoll und verspielt wie ein kleiner Junge das Theater. Er zaubert mit Scheinwerfern und Windmaschinen, laesst einen Raumverdraenger am Fallschirm aus dem Schnuerboden herab . Er schickt einen Holzhund ums Buehnenrund, trickst Bonsais aus dem Boden und Getreidehalme, die possierlich spriessen. Er entzuendet Sterne, die funkeln. Und er erlaubt den Funken zu stieben. Die Buehne selbst wird zur Enklave. Peymann entgeht damit - und durch geschickte Striche - den meisten Gefahren, die dort lauern. Er beantwortet die Frage, wo denn diese Gluecksenklave sei, womoeglich in Serbien?, schlicht: Zeit, Raum, Bilder; Frieden, Erkenntnis, Aufklaerung gibt es fuer ihn nur im Theater. Seine Handke-Deutung: Die Kunst braucht Koenige, die den Menschen die geraubten Bilder und Phantasien zurueckgeben . Nur die Kunst kann warnen vor den Maechtigen und den Desperados, die Kultur vernichten und Freiheit meucheln. Einer Gefahr konnte Peymann indes nicht entgehen: Handkes Sprache. Sie blaeht sich maechtig, macht sich breit und stark. Die Substantive stolzieren auf Kothurnen, die Verben schlagen Pfauenraeder, und die Adjektive, edel und hehr, geben maechtig an. Seis drum. Was fuer Strauss gilt, hat Gueltigkeit auch fuer Handke. Nicht was sie denken, schreiben, hoffen ist gefaehrlich - denn ihre Zivilisationskritik, ihr Einspruch, diese durch feige Uebereinkuenfte domestizierte, aber keineswegs kultivierte Gesellschaft sei keineswegs die beste aller Moeglichkeiten, ist weder vermessen noch gar ein Angriff auf die Demokratie. Gefaehrlich und unverantwortlich waere vielmehr, wenn Regisseure, Interpreten, Kritiker zu diesen Thesen und Utopien die Stellungnahme verweigerten. Peymann erlaubt sie sich. Er klaert das Unklare. Er bestaetigt Hoelderlin, der im Programmheft zitiert wird: Fuerchte den Dichter nicht, wenn er edel zuernet, sein Buchstab / Toedtet, aber es macht Geister lebendig der Geist. Strauss und Handke sind Seismographen. Man muss weder ein enttaeuschter 68er sein noch ein entsprechend Eingestellter, mit Gottfried Benn formuliert, um beider Haltung, die eine neue Freiheit im Denken fordert, zu verstehen. Der Traum vom Raum Bei Peymann begreift man sehend, hoerend, staunend. Gert Voss und Johann Adam Oest - Pablo und Felipe, der Held und der Kuemmerling - offenbaren in vier Stunden zwei Menschenleben. Munter und ein bisschen albern tollen die Knaben, der eine ein rotes, der andere ein blaues Hemdchen in der kurzen grauen Hose, auf der Buehne . Dann werden sie erwachsen, schliesslich alt. Gert Voss, kaugummikauend: ein Traeumer, der Handkes Gedanken zwar entwickelt, aber den grossen Worten nicht so recht traut. Feiert er Raum!, so glaenzen die weit aufgerissenen Augen, als stuende ein Kind vorm Weihnachtsbaum. Raesoniert er ueber Macht, dann woelbt sich die Brust, der Mann wird eitel und zugleich auffallend mickrig. Der starke Held ist ein Angsthase nur. Voss artikuliert den Zweifel, wenn er Gewissheit kuendet. Er ironisiert, bricht, vernichtet zuweilen sogar die Bedeutung der bedeutungsvollen Handkeschen Predigtsentenzen. Er entschwiemelt einen verschwiemelten Text, indem er ueber das Gesagte staunt, als wisse er nicht, wer ihm die Worte einfloesst. Immer kommentiert Voss, zuweilen in heilloser Gedankenverwirrung sich ans Publikum wendend, in Gesten und Ton: Recht so Handke, aber es geht auch kleiner. Diese Haltung, die mehr ist als blosses Verhalten, demonstrieren Peymann und all seine Schauspieler. Auch Martin Schwab, einziger Vertreter des Volkes, von Kostuembildnerin Maria-Elena Amos mit mehreren Hueten, Hosen, Jacken ausstaffiert, zeigt die Zweifel an der Rolle in der Rolle. Das Volk: opportunistisch, feig, grosskotzig. Trantuetig und ein bisschen daemlich die ungleichen Schwestern, die Muetter: Traute Hoess, staemmig und erdenschwer, und Ursula Hoepfner, zart und zimperlich. Wundersam entrueckt und doch beinahe so klug wie Shakespeares Narren: Urs Heftis Idiot. Der bunte Jeck ist dem lieben Felipe nicht bloss an Witz, sondern auch an Klugheit ueberlegen. Felipe kann lieben nur. Hat sich verguckt in die Fluechtlingin, die kecke, patente Therese Affolter. Johann Adam Oest ist ein braver Schlupp. Hilflos wie das Volk ist er den Raumverdraengern unterlegen. Vor allem deren Haeuptling, dem Nadelstreifen-Boesewicht in der Mephisto-Nachfolge, Florentin Groll. Durchblick hat allein die Erzaehlerin. Anne Bennent macht Handkes Wortungetueme zu Leichtgewichten. Spricht sie vom Volk, von dem sie nicht viel haelt, dann kraeuselt ihre Stirn Falten. Feiert sie die neue Gerechtigkeit, dann wirbelt sie wie ein Blatt durch den Raum. Die Augen leuchten Freude, der Koerper scheint zu schweben. Am Ende aber predigt auch sie - wie weiland Libgart Schwarz als Nova. Das Pathos der letzten Verkuendigung wird bei Handke gefaehrlich fundamental: ein Salmon, psalmodierend vorgetragen. Die Arme fliegen durch die Luft, aber die Sentenzen plumpsen schwer zu Boden. Leichtigkeit ist Handkes Sache grad nicht. Selbst Anne Bennent hievt die Wortkloetze, mythenbeladen, nicht in lichte Hoehen. Jubel im Burgtheater. Gluecklich Peymann und sein Ensemble. Erst ein wenig verstoert, dann erloest Peter Handke, der gefeiert wurde. Kein Zweifel: ein Erfolg. Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit, waehrend der Lektuere oft unertraeglich, kitschig, weil bildungsbeflissen und erloesungsbemueht, hat auf der Buehne maerchen- und traumhaft bestanden. Peymann hat mit Handke Hoelderlin proklamiert: Kunst darf sich keinen Zwang antun. Muss also nicht politisch korrekt sein! Kunst stellt in Frage. Genau dies tut Handke, man mag es moegen - oder nicht. C. BERND SUCHER SZ-ONLINE: Alle Rechte vorbehalten - Sueddeutscher Verlag GmbH *0 ART-NR: 4562895 Firma: Burgtheater, Wien Namen: Peymann, Claus / Kultur BESPRECHUNG ZU: Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit /SchauspielDatenbank SZ Dokumentennummer: 029710452

Screen Shot: Project BOB




This PAGE is dedicated to to the above-named play and its exploration

A PICE ON METAPHYSIC AND THEATER, ON HANDKE AND BOTHO STRAUS with a bunch of pieces on PREPATIONS FOR IMMORTALITY BELOW, REVIEWS & SCHOLARLY

DIE ZEIT vom 28.02.1997 Seite 47 Nr. 10 FEUILLETON Die Ornamente der Ordnung Antimoderne und politischer Mythos im Knigsdrama: Botho Strauss und Peter Handke suchen den Souveraen Der Thron des Souveraens ist leer, aber niemand will es glauben. Als der Dramatiker Heiner Mueller, ein Jahr vor seinem Tod, in zahllosen Interviews von der Gegenwart Abschied nahm, prophezeite er dem deutschen Theater die Rueckkehr der KOEnige und ein neues Leben der Metaphysik.Nach der Wiedervereinigung wuerden Sinnsucher die Buehne stuermen und aufspielen gegen die Leere des Westens und die Allherrschaft des Geldes.Mittlerweile ist Geld der einzige Wert, auf den hin Orientierung realistisch ist . . .Am Gebaeude der Deutschen Bank in Muenchen steht: ,Aus Ideen werden Maerkte`. Jetzt ist der Ideenhimmel verbraucht.Es gibt nur noch Maerkte, und dadurch entsteht eine ungeheure Leere.Die Frage ist, ob der Mensch das aushaelt. Er wird es nicht.Denn, so lautete Heiner Muellers schlichte Formel, Kapitalismus macht lebensmuede.Er beerbt die Theologie und trstet mit der Gnade des Wachstums.Wer an das Heil der Marktwirtschaft glaubt, vertagt sein Glueck.Geld ist ein Alleszermalmer es macht arm, weil es metaphysische Reserven verbraucht und Traeume ernuechtert. Danach ist Nichts.Die Menschen hausen im Vakuum ihrer Zeit.Der Kapitalismus, der Knig der Erde, gibt keine Antwort auf die Frage der Existenz in Sein und Zeit.Wo bleibt der vacuum cleaner der westlichen Welt? Seit langem macht der Sieg der konomie alle Ideologiekritik arbeitslos. Es gibt nichts mehr aufzuklaeren, und der Rest zerfasert von selbst. Nun, ohne das Versprechen auf Zukunft, wird die Kunst konservativ sie nimmt Abschied vom alten Befreiungszauber, von der Utopie der Gesellschaft und der Selbstverwirklichung des Menschen.Und doch hat ihr Abgesang einen unerhrten Ton.Siegessicher verkuenden die Sinnsucher den neuen Weg zum Heil.Sie plakatieren Bilder fuer die Zeit nach der Moderne und verrichten Schanzarbeiten gegen die Leere.Dann drehen sie den Zeitpfeil einfach um.Das AEltere ist ihnen das Bessere alle Zukunft wartet in der Vergangenheit. Aus diesem Grund fordern sie nicht Aufklaerung, sondern Wiederverzauberung nicht Kritik, sondern Gruendung.Sie beschwren das Ewige im Vergaenglichen und das krisenfreie Absolute.Nur dieses Erbe, sagen sie, fuellt das Vakuum der Gegenwart nur die UEberlieferung kann uns noch retten: der dunkle Glaube nicht an den kommenden Gott, sondern an das Sein der Sprache und die Wahrheit ihrer Erzaehlungen.Denn ohne Zentrum, ohne Knig, jagen Kafkas Kuriere mit sinnlosen Meldungen durch die Welt.Kafkas Kuriere, das sind wir: die Insassen einer expansiven, allesfressenden Gegenwart. Die deutsche Dramatik war immer eine Suche nach der Knigsfigur, die es in Deutschland nicht gegeben hat.In Deutschland geht es immer um den Knig (Heiner Mueller).Ithaka, das juengste Knigsdrama von Botho Strauss, inthronisiert, wie Richard Herzinger gezeigt hat (Theater heute, Nr. 8/1996), die Tiefensehnsucht nach politischer Romantik, kniglicher Restauration und zeitloser Ordnung.Strauss nimmt das Schlusskapitel der Odyssee und stemmt es auf Augenhhe, in den Zeithorizont des zwanzigsten Jahrhunderts.Es ist ein Spiel mit Spiegeln Akt fuer Akt schrumpft die Gegenwart in die Antike, und nun erscheint auch die Moderne in anderem Licht.Nicht laenger ist sie die ausgezeichnete Epoche, sondern ein Irrtum - der Ausnahmezustand der Weltgeschichte. Naturgemaess verzeichnet der Atlas der Literatur das sagenhafte Ithaka als Staette der Gtter und des Ursprungs.Bei Strauss aber ist die Wunschinsel eine Kolonie der Moderne belagert von Cola trinkenden Maulhelden, geschwaetzigen Haendlern und leichenblassen Liberalen.Sie ueben Willkuerherrschaft ueber die Dinge und vergreifen sich am Allerheiligsten, an der Sprache.Unter der Fremdherrschaft der Modernen ist kein Glueck, nur Gier, Langeweile und Frevel. Liberalismus ist die Religion der Wartenden mit Wachs verstopfen sich die letzten Menschen ihre Ohren gegen die Stimme des authentischen Lebens.Erst der himmlische Odysseus, der nur von seinem Hund erkannte Fremde, beendet das Interregnum der leeren Zeit er befreit das Land aus den Faengen der Zivilisation, und dann herrscht, nach einem Blutbad, wieder die Kultur der Dauer, ewige Liebe und gerechtes Knigtum. Nicht erst Botho Strauss benutzt die Antike als Trojanisches Pferd, um darin eine unvershnliche Kritik der Gegenwart zu verstecken. Fuer Adorno und Horkheimer war Odysseus noch der erste Mensch der Zivilisation, der sich von seinen Wunden nicht mehr erholt und der heimkehrt, ohne je heimzukehren.Odysseus versaeumt sein Leben, indem er es rettet, und seine Bluttat ist raechende Gewalt - Rache fuer das, was ihm von den Ursprungsmaechten angetan wurde.Ganz anders bei Strauss sein Stueck feiert die Brutalitaet als richtende Gewalt, denn Odysseus entrinnt nicht dem Mythos, sondern setzt ihn als politischen wieder ins Recht.Seine Tat ist Wiederherstellung er restauriert eine neuheidnisch ausgemalte Naturordnung aus Macht und Sprache ein rechtsetzender Souveraen ordnet die Worte fuer eine neue Lesbarkeit der Welt.So fuegen sich, unter den Augen des Knigs, alle Fragmente zum sprachlichen Bild. Was fuer Strauss die Gewalt der Wiederherstellung, ist fuer den zweiten Knigssucher, fuer Peter Handke, die Penelopearbeit der Wiederholung.Beide Theaterstuecke, Ithaka wie auch die Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit (vergleiche ZEIT Nr. 8/1997), konfrontieren eine fingierte Antike mit einer denunzierten Moderne.Dennoch sind Handkes Zuruestungen um vieles reicher und raffinierter manchmal sind sie anruehrend und voller Ironie gegen den verzuckerten Grssenwahn ihrer theatralischen Sendung.Handke, auf der Maerchenhhe, fuerchtet jede Zeitgenossenschaft Strauss, auf den Marmorklippen, liebt die Klischees seiner handzersaegten Bundesrepublik, und dann hetzt er die Gtter Griechenlands auf den deutschen Sozialstaat, um am Strand von Ithaka einige seinsvergessene Wohlstandsfrettchen zur Strecke zu bringen. Aber man darf sich nicht taeuschen.Laengst schon wandert Handke nicht mehr als Sendbote der Poesie ueber die Drfer, um den abgehetzten Bewohnern die Augen zu ffnen, damit sie innehalten und erkennen, was sie im schalltoten Raum ihres Lebens versaeumen.Auch Handke, so scheint es, macht gar nicht erst den Versuch, die Gegenwart zur Vernunft zu bringen und ihren verbohrten Sinn zu belehren - so, als knne die krisenhafte Moderne, die Zeit ihres Weltbildes, nicht mehr verwandelt, sondern nur noch suspendiert werden.Wie Strauss, so setzt auch Handke ein goldenes und unheilvolles Versprechen in die Welt: Erst dann, wenn die Gegenwart als ganze ueberwunden ist, wird hinter dem Schleier der missratenen Zivilisation das eigentliche Leben und die eigentliche Kultur zum Vorschein kommen - das grosse Andere, das Sein hinter der Realitaet, die wahre Sprache hinter der falschen Kommunikation. Beide Schriftsteller brechen nun im Gewand des Dichters auf, um einen phantastischen Ort zu suchen, eine Topographie der Wahrheit, wo ihre Gegenwelt, die Antimoderne, eine Heimat findet.Was dem einen Ithaka, ist dem anderen die Enklave - jene Niemandsbucht, die vom Irrlauf der Geschichte ueberrannt wird und ihm doch selbstbewusst widersteht.Auch bei Handke geht das richtige Leben ins Exil, vertrieben von den Raubrittern einer anderen, unverkennbar modernen Zeit.Hier, in den Ruinen der Staatlichkeit, zerstren sehr westliche, ganz ungeheure, Zeit und Raum auflsende Gewalten den seligen Frieden des Anfangs es herrscht Krieg, entfacht von den raumfremden Maechten der globalen Zivilisation.Keine Grenze respektierend, machen sie mobil gegen die glueckliche Zeit der raumgebundenen Kultur.Sie sind Trabanten des Todes und zerreden das Knigreich der Sprache.Zurueck bleiben, am Ende einer langen Bildungsgeschichte der Menschheit, die vom Schein befreite und aufs neue verhexte Welt, Allegorien des Ungelebten und die Gestalten einer grundlosen Gewalt.Im Restmuell einer fehlgedeuteten Schpfung dreht das Rad der Kutsche leer, dahinter, mit dramatischem Kitsch, verwittert das Portal der Knige.Und wie auf Ithaka wird nur noch geredet, aber nicht mehr gesprochen. Mit traumseligem Blick auf Heideggers Hlderlin-Deutung geht Handke nun hin und inszeniert die Wieder-Holung der Sprache als Knigsdrama. Dafuer erfindet er eine einsam privilegierte Erzaehlerin, die als Eingeweihte des Seins noch jene uranfaengliche Erzaehlung kennt, die an das Absolute ruehrt, Fragen durch Raetsel beantwortet und den Sterblichen alles Leid erklaert.Wenn sie das Sprechen lehrt, lehrt sie das Sehen der Dinge, die zarte Empirie einer kontemplativen Weltliebe und das Wunder der Kommunikation.Zur Zeit wird ihr der Raum, und die Sage vershnt mit dem Schicksal: Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit. Allerdings, die Erzaehlung vom Einheitsgrund des Lebens kann die Verstaendigung der Menschen nur dann stiften, wenn die Rede zur Sprache wird: sie muss deshalb bei Handke verkrpert, bei Strauss sogar verstaatlicht werden.Handke adelt den Krper des Knigs zur Physis der Erzaehlung und doch ist sein Knig nicht, wie bei Strauss, der triumphalistische und autoritaere Staat, sondern eine unklare Metapher, ein unsichtbares und gerechtes Gesetz, das die Weltfarben leuchten und die Menschen wieder wie Menschen sprechen laesst, maerchenhaft, in einer polyphonen Einheit, verschieden und doch eines Sinnes.Handkes hinfaelliger, von der Poesie beschrifteter Knig ist kein blutruenstiger Odysseus er wirkt, wenn er die Erzaehlerin schliesslich heiratet, abgruendig und verzweifelt human, wie das illusionaere Sprechen von Trost und Dauer.Denn Friede ist, wenn die Worte wieder stimmen, wenn sie gerecht sind.So waere der Knig mit dem doppelten Krper, einem weltlichen und einem mythischen, bloss ein Text hinter dem Text, jenes kollektiv Imaginaere einer heilsamen UEberlieferung, die angeblich von der liberalen Gesellschaftsschlange neutralisiert und vergessen wurde. Unueberhrbar ist das Universum der Sprache die alles bestimmende Obsession, das grosse Pathos dieser Dramen.Der Knig hockt auf dem Thron der Worte, und das Volk lebt in einer Monarchie der Buchstaben.Beide, Handke wie Strauss, sind von der schwindelerregenden Vorstellung besessen, dass die Wrter, die in ihrem heiligen Land gesprochen werden, nicht einfach nur die Welt bedeuten, sondern diese Welt auch sind.Beide kritisieren die Gegenwart deshalb mit einem ehrwuerdigen sprachphilosophischen Argument.Sie sagen, dass erst eine von Traditionen und Traeumen gesaettigte Sprache den Raum der Verstaendigung und das Selbstsein der Menschen erschliesst es ist allein die Sprache, die jahrtausendelang die Sinnenergien der Menschen gespeichert hat, um sie in der Gegenwart der Kommunikation zu wiederholen. Selbstredend ist der Hinweis auf die grossartige Welterschliessung der Sprache das ueberzeugendste Argument.Aber in diesem Fundamentalismus steckt auch der autoritaere Kern der Knigsdramen.Denn wenn nicht die Menschen eine Sprache sprechen, sondern die Sprache die Menschen spricht, dann geraet jeder Versuch, Traditionen zu veraendern, unter Verdacht.Mit der Kritik, so heisst es, beginnt die Krise, der Niedergang der Kultur zur Zivilisation.Niemand, so sagen Handke und Strauss unisono, kann Sinn regenerieren oder gar erfinden, und deshalb beschreiben sie die Moderne als Schauspiel der Sprachzerstrung: Wer den Naturfrieden der Wrter bricht, erklaert den Buergerkrieg. Neu ist das sprachmetaphysische Muster nicht.Puenktlich zur Krisenzeit, nicht erst seit Hofmannsthal, bringt ein konservativer Geist das handkolorierte Knigsbild von der unverfuegbaren Sprache und der homogenen Kultur als Pathosformel gegen die seelenlose Aufklaerung in Stellung.In den rechtsdrehenden Reizmetaphern schrumpfen soziale Krisen zu Sinnkrisen, und wie am Schnuerchen haengen selbst bei Handke die Schlag-Wrter vom eingewurzelten Volk und dem autochthonen Raum.Obwohl sie von der Macht des Negativen und des Todes wissen, traeumen die Figuren darin vom archetypischen, differenzlosen Leben nach der Moderne, von einer unentzweiten Identitaet und der riskanten Einheit von Ich und Welt, privatem Glueck und ffentlichem Wohl.Und ueber allem thront der gefaehrliche Traum einer schlechthin fraglosen Tradition, die weder der Deutung noch der Kritik bedarf. Nun hat Handke, was kein Kritiker zustande gebracht haette, eigenhaendig, in Wort und Tat, mit seinen beiden Serbien-Buechern (Suhrkamp Verlag) den Beweis fuer jene fatale Selbstverwirrung erbracht, die dann entsteht, wenn man die kompromisslose Poesie der Antimoderne mit der Verhandlungssphaere der Politik verwechselt.Anders: Wenn ein Schriftsteller, der Dichter sein will, den politischen Begriff von Gerechtigkeit kopfueber in die Kunst spiegelt und von dort wieder zurueck in Politik wenn er das AEsthetische mit dem Leben kurzschliesst, Hlderlin an der Drina wandern laesst und mit Heraklit im Tornister an Srebrenica vorbeistarrt, kurz: wenn er die Wahrheit des Dichters mit einem politischen Urteil verwechselt und die Eigentlichkeit des Ursprungs gegen den Verfall der Moderne aufbringt.Deshalb sind fuer Handke die Serben auch die Ursprungsindianer der Gegenwart Widerstandskaempfer im Namen der Sprache, die den Sinnraumverdraengern des Westens noch immer trotzen.Und so zeigt sich beim UEbertritt von Literatur in Politik dann doch, ob der Pathetiker noch ganz bei Trost ist - ob er sich als Intellektueller jene archaischen Phantasien vom Leib halten kann, von denen er als Autor ueberwaeltigt wurde. Es ist schwer, die Theaterstuecke von den skandalsen Einlassungen zu isolieren, die ihre Verfasser mit ihren politischen Bocksgesaengen zu Papier gebracht haben.Dennoch bleibt die Frage aufschlussreich, warum sich erneut eine Zivilisationskritik als Kulturkritik verpuppt, mit allen einschlaegigen, antidemokratischen Affekten.Auf jeden Fall muessen es bizarre Zeiten sein, die im Stand ihrer konomischen, schon wieder naturwuechsigen Dauerkrise Knigsdramen in die Welt setzen - wie der George-Kreis, die seinsnahen Dichter des Geheimen Deutschland am Ende der Weimarer Republik mit ihrer katastrophalen Sehnsucht nach dem Einzug in den (Sprach)palast des Kaisers.Und doch: Welche Erfahrungen verschluesselt die ganze Stiftungs- und Gruendungswut?Die Feier von Archetypen, der Glaube an die Mission des Dichters, ueberhaupt die Begeisterung fuer Herders Volksgeist? Wie pathologisch muss eine ffentliche Kommunikation sein, wenn Schriftsteller beschliessen, nur noch mit den Steinen zu reden? Schliesslich ist es ja nicht so, als sei die kapitalistische Moderne eine gelungene Veranstaltung, als duerfe einem zum weltweiten Westen nichts Bses mehr einfallen: kein Wort zu den trostlosen Individualisierungsschueben, der Zeitvernichtungsmaschine der Medien, der wildgewordenen konomie mit ihrer Produktion von ueberfluessigen Menschen.Nur eine flachgehobelte, vergessliche und zynische Aufklaerung wird den Konformismus der Weltrisikogesellschaft und den kommerziell betriebenen Sinnverzehr mit Emanzipation und Fortschritt verwechseln, um dann den Zurueckgebliebenen zuzurufen: Seid gluecklich, erfindet euch die Freiheit! All das ist, nach dem Verstummen linker Gesellschaftskritik, Wasser auf die Muehlen der Pathetiker, und vor allem Peter Handke hat ein fast unfehlbares Gespuer fuer die Sprachnot einer modernen, wunschlos ungluecklichen Subjektivitaet.Er besitzt einen wunderbaren Sinn fuer die Tradierungskrise einer Freiheit, der das Bewusstsein und die Erfahrung ihrer Autonomie zu entgleiten droht.Handke entdeckt, und darin ist seine Wahrnehmungsprosa unuebertroffen, jene weissen Blaetter im Buch des Lebens, die leer bleiben, weil die Menschen ihre Existenz verfehlen - aus Mangel an Sprache. Damit konfrontiert, waehlt Strauss, wie alle Anti-Modernisten, den ausgetretenen Knigsweg in den Mythos die Sackgasse des primordialen Heils in eine schngeschminkte Antike, oder wie die gefaelschten Traumbilder auch immer heissen.Aber das Griechische ist sei jeher die Maske des Deutschen, und es sind diese neopaganen Traditionsbestaende, die nun der ungedeuteten Freiheit den wetterfesten Sinn diktieren sollen - als vacuum cleaner der Gegenwart.Noch einmal mchte Strauss mit Adam Mueller, Carl Schmitt und Ernst Juenger die deutsche Nation an deutscher Metaphysik aufrichten, waehrend Handke, wenn er nicht gerade am Hof von Milosevic auf Knien rutscht, noch ein Restmisstrauen wachhaelt gegen die Zwangsverkrperung des guten Lebens in staatlichen Apparaten. Man knnte auch sagen: Strauss haelt es mit den Ruestungen, Handke zum Glueck nur mit den Zuruestungen fuer den Sinn, ohne Opfergeschwaetz und Untergangsfrivolitaet.Dieser Unterschied ist einer ums Ganze: Es ist die Differenz der Freiheit, das Selbstdementi des politischen Mythos.An einer Stelle, einer entscheidenden, deutet Handkes Erzaehlerin auf den Fehl Gottes und den Ursprung ihrer Erzaehlung. Als ich dort einmal an einem Herbstabend an einem Kartoffelfeuer sass, stand pltzlich niemand vor mir, und sagte nichts, und wieder nichts.Dieser Niemand begruendet aber die Autoritaet der Erzaehlerin, und er ist der Fels, von dem aus die Knigsbotschaft verkuendet wird.Der ganze Wahrheitsfuror, das ganze affirmative Pathos, alle Hoffnung auf den substantiellen Staat lastet auf der Botschaft des Niemand - um ausgerechnet an ihm zu zerbrechen.Niemand hat es ihr gesagt die Erzaehlerin uebersetzt, was niemand gehrt hat.Deshalb weiss auch niemand, ob die Sage wahr ist und ob man ihr folgen sollte.Dieser Riss zwischen Wahrheit und Geltung sprengt auch Handkes ideologisches Brimborium vom Nomos der Erde, die bei Carl Schmitt abgeschriebene Suggestion einer Einheit von Ort und Ordnung.Am Anfang war, anders als die autoritaeren Freunde der Fruehe ihren Figuren einreden, eben nicht der Naturfrieden der Wrter und die Zauberkraft der Namen, sondern eine elementare Zweideutigkeit, eine fuerchterliche Ambivalenz, nur die Spur einer Spur.Schon die Sprache ist nicht eines Sinnes, sondern gegenwendig: Rache!Rache?Gerechtigkeit.Schon am Anfang war Widerstreit und Unrecht, und eine Erzaehlung, die gerecht sein wollte, hat keinen Grund, Gerechtigkeit einzuebnen auf das aesthetische Verhaeltnis zu den Dingen, um ueber die Ungerechtigkeit zwischen Menschen zu schweigen. Handkes Stueck, ganz anders als das von Strauss, ist deshalb so schwierig, weil es am Hof des eigenen Knigs erfolgreich intrigiert. Es zeigt, dass auch der symbolische Leib des Herrschers zerrissen und der Erzaehlerin keine absolute Wahrheit vergnnt ist: Der Thron des Souveraens bleibt leer.Erst dieses Gestaendnis setzt die ungeliebte Freiheit der ungeliebten Interpreten ins Recht.Denn wenn es keine absolute Wahrheit gibt, dann ist es mglich, nein zu sagen. Denn die Erzaehlerin, das Inbild der Kultur, weiss es nicht besser, sondern nur anders.Vielleicht luegt sie ja, denn niemand hat es ihr gesagt, und dann ruht die Wahrheit der Sinnsucher nicht auf heiligen Worten, sondern in menschlichen Wrtern.In diesem Augenblick ffnet auch Handkes Mythologie die Domaene der Freiheit und der Auslegung.Doch anders als im Raum der Literatur gilt darin die strikte Unterscheidung von Existenzwissen und Politik, von gutem Leben und gerechtem Allgemeinen.Denn es geht nicht darum, einer fundamentalistischen Wahrheit zu folgen, sondern eine politische Form zu finden, in der sich ueber fundamentale Wahrheiten gewaltlos streiten laesst. Es stimmt schon: Der aesthetische Traum von der souveraenen Repraesentanz der Wahrheit ist eine regressive Utopie, die die Moderne schon immer als Schatten und manchmal auch: als Korrektiv begleitet hat.Doch nichts waere im Augenblick verhaengnisvoller als die majestaetisch aufgeblaehte Parole, nur ein politischer Mythos knne die dramatische Krise der Gesellschaft und des Staates ueberwinden - fuer eine poetische Zeit der Unschuld, die, exekutiert als Politik, zum Fuerchten waere. Autor(en): Assheuer, Thomas Bildunterschrift: Die Knigspuppe als Popanz der Macht - Ubu Roi a la Alfred Jarry Aufnahme: J. de Horozcoy Covarrubias: Ensemble Moralis, 1598. Forschungsstelle Politische Ikonographie Warburg Haus, Hamburg Datenbank ZEIT Dokumentnummer: 8181

HERE IS A FINE REVIEW FROM DIE ZEIT BY BENJAMIN HENRICHS, ON THE PREMIERE IN VIENNA, THEN A SHORTER ONE FROMTHE SAME PAPER ON ITS HAMBURG PREMIERE; FURTHER DOWN COMES A LONGER AND MORE SCHOLARLY PIECE ON THIS EXTRAORDINARY PLAY


DIE ZEIT vom 14.02.1997 Seite 43 Nr. 08 FEUILLETON Ein Knigreich fuer ein Kind Peter Handke als Zauberdichter, Nervensaege, Haeuptling Morgenwind: Wie Claus Peymann im Wiener Burgtheater die Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit urauffuehrte Was haben wir denn hier? Ein Gestrichel. Ein Gekritzel. Wahrscheinlich die Zeichnung eines Kindes. Vielleicht auch eine Botschaft vom anderen Stern oder aus der Niemandsbucht. Oder eine Hhlenzeichnung aus dem alten Kaernten. Und was zeigt uns das Gestrichelte? Links etwas Fliegendes, Vogel oder Drache. Rechts, auf einem Podest, eine Figur mit Kopf. Und je laenger man den Kopf betrachtet, desto bekannter schaut er zurueck. Wenn nicht alle Zeichen truegen, ist dies ein Dichterkopf: ein Portrait des Dichters Peter Handke. Peter Handke hat ein neues Theaterstueck geschrieben. Ein Knigsdrama mit dem etwas strapazis klingenden Titel Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit. Natuerlich wartet der Handke-Leser, Handke-Juenger nicht, bis es endlich zur Urauffuehrung kommt. Er verschafft sich, so schnell er nur kann, die Buchausgabe des Knigsdramas (Suhrkamp). Und erblickt, so also faengt die Begegnung mit Handkes Unsterblichkeit an, auf dem Buchumschlag das geheimnisvolle Gekritzel. Und der Handke-Leser freut sich. Schon wieder freut er sich! Aber nicht lange. Denn nun muss das Buch aufgeschlagen, der ersten Szene furchtlos entgegengegangen werden. Der Grossvater oder auch Ahnherr spricht. Und er spricht so, wie auf deutschen Brettern lange keiner mehr gesprochen hat weil eben keiner mehr sich heutzutage traut, Knigsdramen zu dichten. Ausser natuerlich Peter Handke. Der Grossvater oder auch Ahnherr also spricht die ersten Worte des Dramas, und sie heissen: Rache! Rache? Gerechtigkeit. So spricht der Grossvater. Und der Handke-Leser erschaudert. Oder er denkt, wenn er Glueck hat, sogleich an Mozarts Priester Sarastro: In diesen heilgen Hallen / kennt man die Rache nicht. Kchelverzeichnis 620. Die Kinderzeichnung: wortloses Glueck. Nun aber die Rede des sterbenden Grossvaters: ein grossmaechtiges Wortgeschepper. Fast nackt ist der Alte, wie Knig Lear auf der Heide, und seine Rede ist Vision und Lallen zugleich. Von der Sonnenzeit tnt er, vom starken Frieden, vom erfrischenden Ernst. Kuehn und berauscht wirken seine Worte, aber im selben Moment geziert und gequaelt. Die Sprache der Knigsdramen ist uns verlorengegangen, und man sieht Handkes Saetzen an, wie nun das Verlorene gewaltsam wiederhergestellt, herbeigezwungen werden muss. Natuerlich ist so ein sterbender Grossvater oder auch Ahnherr eine ernste Sache - aber ein bisschen drollig ist es schon, wie der tragische Alte die Worte tuermt, wuergt, ineinanderstaucht. Als belebe ihn noch die altsterreichische Wortspiel-Wollust eines Nestroy oder auch Bernhard oder gar Schwab - die freilich nun, in der einschuechternden Umgebung des Knigsdramas, von heiliger Erstarrung, priesterlicher Verfinsterung ergriffen wird. Der Handke-Leser fuerchtet sich. Schon wieder fuerchtet er sich! Aber nicht lange. Denn nachdem der Alte mit einem ueberraschenden Fluch (Lecke Welt! Leckt mich, alle!) dahingegangen ist, beginnt die zweite Szene des Dramas. Und auf den Krampf folgt die Herrlichkeit. Die beiden Tchter des Alten, die dem Monolog des Ahnherrn hochschwanger beigewohnt hatten, erzaehlen nun von der Geburt ihrer Shne. Die erste Schwester hat den Pablo Vega geboren, die zweite Schwester den Felipe Vega, beide in der naemlichen Stunde, wie es sich fuer ein Maerchen gehrt. Zweimal, sagt die erste Schwester, sei sie vergewaltigt worden: vom Vater des Kindes bei der Zeugung, vom Kind bei der Geburt. Doch ihr Kind sei ein Prinz, ein Star: Wie besonders fand ihn gleich jeder. Welch Grazie! Welch Hoheit! Die zweite Schwester hat ein ganz anderes Kind geboren: Kind der Liebe, aber Schwaechling. Kein Held, ein Krueppel, ein Nichtsling - aber ein Wunderkind der Freundlichkeit. Der erste aus unserm Stamm, der so lachen kann. Wir sind doch seit je bekannt als die mit den zugenaehten Muendern. Eine einzige Zumutung, dachte der Handke-Leser, als ihn der Ahnherr bedrhnte. Eine wirkliche Dichtung, denkt er nun, den Hexenschwestern lauschend. Und freut sich. Doch irgendwann ist die Zeit des Lesens zu Ende, und das Knigsdrama muss aufs Theater kommen. Claus Peymann, wer sonst, hat inszeniert, im Wiener Burgtheater, wo auch anders. 8. Februar, 18.30 Uhr. Und der Handke-Leser freute sich darauf, nun endlich der Handke-Zuschauer zu werden. Und fragte sich voller Spannung, wer am Ende des Knigsdramas wohl die Oberhand gewinnen wuerde: der Schwulst des Ahnherrn oder der Gesang der Schwestern? Und ob er das Burgtheater mit einer Handke-Liebe oder einem Handke-Hass oder mit konfus gemischten Gefuehlen verlassen wuerde. Skandal? Katastrophe? Oder die ersten Stunden des Theaters der Zukunft? Wie auch immer: Es wuerde ein Theater werden, wie noch kein anderes gewesen ist. Unvergesslich oder unvergesslich graesslich. So dachte man. Welch ein Irrtum! Schauplatz des kniglichen Spiels ist eine Enklave, irgendwo, vielleicht in Andalusien: Heimstatt eines kleinen, wunderlichen, selbstgenuegsamen Vlkchens, das nicht teilnimmt an den Dramen der Weltgeschichte, sich an den Weltgeschaeften nicht beteiligt - und dem es wohl manchmal auch ein bisschen langweilig ist. Ein Inselchen der Seligen knnte die Enklave sein, wenn sie nicht gleich zweifach bedroht waere. Von aussen: durch das duestere, tuechtige, aggressive Nachbarvolk, verkrpert durch die Raumverdraenger (1 Haeuptling, 3 andere). Bedroht aber auch von innen: durch ewige Schwermut, verfluchte Freudlosigkeit, Todesfurcht. Die Sonnenzeit (der Alte sagte es) ist vorueber. Krieg bedroht den kleinstaatlichen, den Maerchen- und Zwergenfrieden - und nur ein neuer Knig knnte, sehr vielleicht, eine neue Freudezeit in das Laendchen bringen. Pablo Vega soll dieser Knig werden, aber nur langsam . . . Denn erst einmal, bevor die Schauspieler rackernd und zaubernd ans Werk gehen duerfen, hat der Burgtheaterbesucher lange Musse, sich in der Enklave umzusehen, die Achim Freyer fuer Peymanns Urauffuehrung erdacht, gemalt und erbaut hat. Ein rundes, ein buntes Land. Am Horizont, vor einem hohen Himmel, meerblaue Berge, weich gewellt wie Duenen. Die Spielflaeche: eine in die Schraege gekippte Welt- oder auch Zirkusscheibe der Boden mit schwarzer Lava (oder schwarzem Samt?) bedeckt. Ein riesiger Schlagbaum (schwarzweissrot) teilt die Arena, ein zweiter Schlagbaum, im Hintergrund, ist schon zerbrochen. Im Erdreich halb versunken: Reste einer untergegangenen Welt, ein geborstenes Triumph-Portal, ein riesiges Wagenrad. Auf den blauen Bergkaemmen ein weisser Schimmer, wie Schnee. Auffallend, dass es im Freyer-Gebirge keine Felsen und Kluefte, keine alpenlaendischen Nord- und Mordwaende gibt. Berge zum Rutschen, nicht zum Stuerzen. Ein Bild des Friedens, der stillschweigenden Besaenftigung. Dabei ist das Knigsdrama, nicht erst seit Shakespeare, immer auch ein Kriegsdrama. Und mindestens zwei Schlachten setzt nun Peter Handke in Gang. Die eine, harmlos und sogleich erkennbar, erzaehlt vom Kampf des Kleinvolks gegen die Invasoren der Grossmacht, eine Asterix-Variation, nur laengst nicht so komisch. Der zweite Kampf aber, den das Stueck vor unseren staunenden Augen austraegt, ist abgruendig und muesste hochdramatisch werden: Es ist der Kampf Handkes gegen Handke. Friedenssaenger gegen Amoklaeufer. Oder auch: Alpenknig gegen Menschenfeind, eine alte Wiener Zaubertheateraffaere. Der neue Knig, verkuendigt uns Handke, duerfe kein Herr der Finsternis werden, muesse ein Knig aus den Lueften sein, eine Art Haeuptling Morgenwind. Haeuptling Abendwind hiess Johann Nestroys letzte Komdie, und seine vielleicht beste hiess: Der Zerrissene. Im besten, also ungewissesten Fall knnte man mit Handkes Stueck zweierlei zugleich vorfuehren: den Entwurf eines Knigsdramas und das Zerreissen des Entwurfs. Denn Handkes Text hat mit beiden Vettern namens Vega etwas gemein: Es ist ein Held und ein Krueppel. Ein Knigstheater und ein Nichtsling. Inszeniert aber hat Claus Peymann. Und ein Zerreisser ist der nicht, mit jedem Lebensjahr weniger. Also erzaehlt er uns das Knigsdrama, das Kriegsstueck als einzigen Friedenstext. Als knigliche Kindergeschichte aus dem Sandburgtheater. Erste Szene. Den Ahnherrn oder auch Grossvater spielt Wolfgang Gasser. Einen Text wie den von Handke hat es noch nicht gegeben - der bewaehrte Burgschauspieler macht daraus einen, wie er ihn schon oft gespielt hat. Gekruemmter Gang, zerwuehltes Antlitz, dezentes Knarzen. Der Tragdiengrossvater eben, der jeden, aber auch jeden Text zuverlaessig in ein Kulturgut zu verwandeln vermag. Zweite Szene. Die zarte, immerzu staunende Ursula Hpfner und die wuchtige, ulkige Traute Hoess spielen die Hexenschwestern und Kindsmuetter: schnes, schlaues Volkstheater, aber auch der traulichen Art. Und weil Peymann als Volk und Idiot zwei hochliebenswerte Schwermutsclowns wie Martin Schwab und Urs Hefti auf die Buehne schicken kann, ist Handkes Gesang aus der Ferne schnell in unseren Kpfen eingemeindet. Schn, dass sich Peymann in das ungetueme Stueck offenbar beim ersten Lesen verliebt hat. Schn, wenngleich ein bisschen fade, dass er spaetestens bei der ersten Probe Waffenstillstand mit dem Text geschlossen hat. Sich keine Wut mehr erlaubt, keinen Hass mehr gegnnt hat. Als muesse er den Text, wie ein bedingungslos liebender grosser Bruder, vor allen feindlichen Rotten beschuetzen. Und am meisten vor dem Feind, der bse im Inneren des Textes hockt. Nun aber zerreisst eine wunderbar schraege, schiefe Szene die drohende Beschaulichkeit. Die Vettern Vega treten auf, als Kinder, Pablo und Felipe. Wie Bauernluemmel in halblangen Hosen, mit frechen Gesichtern. Pablo (Gert Voss), der Verwegene mit der Baskenmuetze, der immer wieder wie im Traumrausch die Augen schliesst. Felipe (Johann Adam Oest), der freundliche Krueppel mit der Pudelmuetze, der Beinschiene, der dicken Schielbrille. Die beiden Knaben schaukeln: Pablo, der Sieger auch hier, fliegt hoch in die Luefte, Felipes Schaukel verknaeult sich in den Seilen. Ein Wind geht ueber die Szene bei diesem Auftritt, eine Ahnung von Euphorie. Ein freches Spielen hat sich Handke, der Dichter, von Peymann, dem Regisseur, gewuenscht - jetzt endlich scheint es zu beginnen. Pablo zieht in die Welt, Felipe bleibt zu Hause. Als Pablo nach vierzehn Jahren heimkehrt, ist er bereit, der Knig seines Enklavenvolkes zu werden. Die Macht anzunehmen, wenngleich spielerisch. Ein Gesetz zu verkuenden (Traum und Arbeit!), das die Menschen nicht bedrueckt, sondern endlich befluegelt. Das Enklavenvolk soll das Weltkindvolk werden, und spaetestens jetzt ahnen wir, dass die Enklave ein altes Handkewunderland ist, das mal das neunte Land heisst oder Serbien, mal Niemandsbucht oder Land der wahren Empfindung, mal sonores Land, mal linkshaendiges Land oder wie auch immer. Ich arbeite an dem Geheimnis der Welt stand in Handkes Kindergeschichte, und diese Arbeit (Traumarbeit naturgemaess) setzt unser Dichter nun mit beneidenswerter und liebenswerter Furchtlosigkeit fort und kein Hohn aus dem Lager feindlicher Rotten kann ihn dabei noch stren. Ein tollkuehnes Projekt - und gewiss auch ein laecherliches. Und so ist auch aus dem neuen Handke-Stueck eine ganze Arche toller und lachhafter Saetze geworden, und nicht immer weiss man, wo denn die Grenze zwischen Genialitaet und Peinlichkeit liegt. Wer Handke lauscht, wer ihm ueberhaupt noch lauschen mag, erlebt den Dichter und Saenger an mindestens zwei Instrumenten: wie er die Harfe spielt und wie er auf der Nervensaege schabt. Pablo Vega knnte seinen Knigsweg nicht gehen, wenn ihm nicht pltzlich eine Gefaehrtin wie vom Himmel fallen wuerde: Die schne junge Wandererzaehlerin betritt das Schauspiel, provoziert Pablo zu weiteren vieltausend Maerchenworten (wie Vorfruehlingslicht oder Zitronenfalterlicht) sie zaubert ihrem Liebsten Sonne in den Schuh (kein Blut mehr im Schuh!), sie ruestet ihn und sein noch immer zagendes Volk fuer den Aufbruch in die Unsterblichkeit. Anne Bennent hat von allen Schauspielern am wenigsten Furcht vor den poetischen und philosophischen Steilwaenden des Textes - ein holder Kobold ist sie und eine manchmal nervende Dorfschulmeisterin. Sie traegt ein lustiges Huetchen und ein buntes Kleid in den Regenbogenfarben der edition suhrkamp. Wenn man sie ertraegt, muss man sie bewundern. Dies alles waere nun ebenso holdselig wie sterbenslangweilig, gaebe es keine Widersacher gegen das utopische Projekt. Die Raumverdraenger aus der benachbarten, unheilbar geistlosen Grossmacht. Das Enklavenvolk selbst, das allen Knigsprojekten hausmeisterhaft misstraut (und das natuerlich auch ein Gleichnis ist fuer sterreich, das ewige d-Reich). Was fuer ein Festtag, sagt das Volk servil zu Pablo. Und dann, beiseite: Waere nur wieder Werktag. Aber der grimmigste Feind gegen den Knig Pablo haust in Pablo selber. In seinen Reden und Vorsaetzen ist er der Kindknig, der Vorfruehlingsmensch - doch da sind auch sein ewiger Ekel, die Wutanfaelle, die unsterbliche Todesangst. Er mchte ein Knig werden - ob er zum Knig wirklich taugt, sagt das Knigsdrama bis zu seinem Ende gottlob nicht. Der Schluss: kein Sieg fuer die Knige, sondern ein dubioses Unentschieden. Vorn auf der Buehne das Enklavenvolk, zum Knigtum bereit, hinten die Raumverdraengerrotte, bedrohlicher denn je. Es ist ein Schlussbild, das an die vielleicht grossartigste Szene des zeitgenssischen Theaters erinnert: Wie am Ende von Ariane Mnouchkines Atriden die Gttin der Vernunft und die Hllenhunde der Unterwelt einander starr gegenueberstanden und niemand wusste, wer den Kampf um die Welt gewinnen wuerde: die Schnheit oder der Mord. Der Schrecken ist, wie schon in Peymanns Shakespeare-Inszenierungen, die weitaus am schwaechsten besetzte Figur. Die bsen Raumverdraenger sind liebe, drollige Comic-Unholde Bedrohungen fuer den Enklavenfrieden und Peymannzauber sind sie nicht. Handkes Text redet sich, oft beschwingt, manchmal mit unsaeglichen Muehen, der Vorfruehlingsseligkeit entgegen - in Peymanns Theater ist von allem Anfang an warmer Fruehsommer. Nicht Seitenlicht, wie Handke bangend wuenscht, sondern eitel Sonnenschein. So wird Handkes stolze Behauptung (Hier habt ihr ein unspielbares Stueck!) von Peymann schnell, souveraen und ein wenig altvaeterlich weggeraeumt. So setzte man alle Wuensche auf Gert Voss: Er werde der Wolf werden in diesem immergruenen, blumenbunten, schaefchenfrommen Treiben. Vor zehn Jahren hatte er im Burgtheater den Shakespeareknig Richard drei gespielt - und da gelang ihm genau jene Verbindung aus kindskpfiger Unschuld und Terror, die auch Handkes Pablo Vega zu einer dramatischen Figur machen knnte. Das Enklavenvolk naemlich traut seinem Knigskandidaten nicht ueber den Weg. Ahnt, dass der Gluecksprediger der schlimmste Zwingherr werden knnte. Auf solche Abgruende beim Hhenweg ist Voss seltsamerweise diesmal kaum neugierig - spielt einen poetischen, immer liebenswerten, auch ein bisschen wehleidigen Traeumer, der zuletzt logischerweise in einem Pierrot-Kostuem steckt. Ich bin ein Maerchen, sagt das Theater. Ich bin lieb, habt mich lieb! Soll man darueber bse sein? Freundlicher Beifall, durch eine geniale Applausregie ins schier Unendliche gedehnt. Freudenkundgebungen beim Auftritt des Burgtheaterdirektors. Jubeljauchzen beim Erscheinen des Dichters. Und Handke freute sich, und das war nach vielen schnen Augenblicken gewiss der allerschnste: Wie einer, der von der Freude so unermuedlich und manchmal so verbissen redet, sich pltzlich einfach freut, wortlos und leibhaftig. Wie ein Vorfruehlingsknig. Das manchmal Altjuengferlich-Berauschte, das manchmal Buerokratisch-Pedantische, das manchmal Priesterlich-Drohende seiner poetischen Gluecksversuche - alles vergessen und weggeweht. Auch, wieviel Muehe der Dichter mit dem Maerchen hat, mit wie vielen Vorsichtsmassnahmen er es gegen mgliche Missverstaendnisse schuetzen muss. Das Maerchen sagt Es war einmal - und hat vor Grausamkeiten aller Art nicht die geringste Angst. Das Handke-Maerchen sagt: Es knnte einmal werden, vielleicht - und es hat sich selber die Friedenspflicht auferlegt. Alle schnen Dinge der Welt (zwischen Morgenwind und Mitternachtsblues) kann es nicht einfach erzaehlend beschwren, es muss sie herbeireden, manchmal mit Gewalt. Das neue Gesetz: ein freudiges, sagt Pablo Vega. Und das, worueber es schweigt, wird seine Eleganz ausmachen. Eleganz wird man Peter Handkes Maerchentheater also nicht nachsagen knnen. Alles Gute sonst aber schon. Unsterbliches ist ihm nicht gelungen, sagt das Volk. Gelobt sei Gott, sagt der Idiot. Das waere ein mgliches Ende. Aber vielleicht waere dies das bessere Ende: Die Liebe ist da, sagt die Wandererzaehlerin. Ich bin dir gruen. Autor(en): Henrichs, Benjamin Bildunterschrift: Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit: Johann Adam Oest in Achim Freyers Buehnenbild Die Wandererzaehlerin: Anne Bennent Aufnahme: Zeichnung: Leocadie Handke Datenbank ZEIT Dokumentnummer: 7935

Frankfurter Rundschau vom 14.05.1997 Seite 7 Ausgabe: D Ressort FEU Ein Spass. Handke, zum dritten. HAMBURG. Wenn der leichte blaue Vorhang, dem ein riesiges phallisches Objekt - Luftballon oder Zeppelin? - aufgemalt ist, sich hebt, blickt man auf eine gelbe Schraege mit sandiger rauher Oberflaeche, in die einige tiefe Spalten eingelassen sind; ein Muehlrad und ein Bueschel Getreide deuten Laendlichkeit an, ein Tor markiert den Eingang. Darum herum, scheinbar in weiter Ferne, zieht sich ein schwarzes Rund, darueber woelbt sich ein wolkenuebersaeter blauer Himmel, ihm eingezeichnet ist ein Geviert wie ein Fernsehschirm. Das Buehnenbild von Bernhard Kleber entspricht aufs Schoenste dem Schauplatz von Peter Handkes Koenigsdrama, einer Enklave, einer Zuflucht fuer ein kleines Volk, das umgeben ist von Fremden. Dieses Buehnenbild gibt Raum fuer Phantasie. Nach der Urauffuehrung in Wien und der deutschen Erstauffuehrung in Frankfurt ist das Hamburger Thalia Theater die dritte Station fuer die Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit, Handkes juengstem Theaterstueck, das allen Zuruestungen fuer ein Drama jedoch total widerspricht. Ein Volk sucht nach jahrelanger Demuetigung nach einer neuen Identitaet, in Pablo, einem Jungen, der in einer Vergewaltigung durch feindliche Soldaten gezeugt wurde, erkennt es den Heilsbringer und kuenftigen Koenig. Die Handlung entwickelt sich nicht in dialogischer Auseinandersetzung, sondern in einzelnen Auftritten, in Monologen, Beschwoerungen, Verkuendigungen. Dabei verweist das Konkrete, auf den momentanen Zustand Gemuenzte auch immer ins allgemein Bedeutsame. Der Regisseur Jens-Daniel Herzog versuchte die Anforderungen des Textes zu unterlaufen, indem er sie nicht ernst nahm. Er wendete Handkes grosse Worte und fand ihre komischen Seiten, er machte den Anspruch aufs Erhabene klein und richtete sich das Personal zu als ein Panoptikum skurriler Figuren. Da ein hochrangiges Ensemble mit trefflichen Schauspielern am Werke war, funktionierte das phasenweise sehr gut, nur letztlich ebnete der Spass alles ein. Die Raumverdraenger beispielsweise, die als gewalttaetige Rotte den Enklavenstaat immer wieder bedrohen, verloren ihre Gefaehrlichkeit, egal ob sie als Comic-Helden oder als smarte Geschaeftsleute kostuemiert waren. So ging dem Stueck noch der letzte Rest an Spannung verloren. Erzaehlt wurde in dieser Inszenierung ein putziges Maerchen um dem netten Jungen Pablo - Achim Buch, der die Rolle schon in Frankfurt gespielt hatte und fuer einen erkrankten Hamburger Kollegen eingesprungen war -, der, getrieben mehr von anderen denn aus eigenem Antrieb, die Welt in Ordnung zu bringen versucht. M.L. Die naechsten Auffuehrungen im Thalia Theater, 26. und 28. Mai, 3. Juni. Datenbank FR Dokumentennummer: 05120371

MICHAEL BOERDEGANG & HARTMUT WICKERT UEBER
"Zuruestungen fuer die Unserterblichkeit"

PROLOG UND ZURUESTUNG
Peter Handke hat ein neues Theaterstueck geschrieben: Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit .
Er selbst nennt es ein Koenigsdrama. Unter dem Eindruck des Buergerkriegs im ehemaligen Jugoslawien ist ein Theatertext entstanden, der nicht vergi sst, da ss die Welt in Einzelteile zerfaellt, aber trotzdem versucht, noch einmal alles zusammen zu denken. Er ist von Claus Peymann am Burgtheater uraufgefuehrt worden, in Frankfurt, Berlin und Hamburg wird er nachgespielt werden. Wir wollen hier das Stueck vorstellen, es gegen seine Kritiker und Veraechter verteidigen und zu begruenden versuchen, warum wir dieses Stueck fuer die Herausforderung des Augenblicks halten.
Poesiealbum des vierten Reiches hat es der Kritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung , Gerhard Stadelmaier, tituliert. Und weiter: Es ist nicht unpolitisch. Es ist antipolitisch.(...) Es ist das Koenigreich des Dichters und Fuehrers, der sagt, wohin es gehen soll. So unpolitisch kann es nicht sein, schlie sslich bringt es einen Kritiker ausgerechnet der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dazu, seine Kritik mit dem Revolutionsruf Es lebe die Republik zu beenden. AEhnlich wie Stadelmaier sieht Peter Iden in der Frankfurter Rundschau den politischen Fall Handke: Das Koenigtum: Hier wird es zum pompoesen Schutzbegriff fuer dumpf waberndes Gefasel, in dem die VerhAeltnisse, wie sie sind, allenfalls als sehr ferne, dunstige Erinnerung (an MachtkAempfe, Kriege, UntergAenge) noch vorkommen. Trotz seines offenkundigen Widerwillens erkennt Iden aber zumindest die formale Herausforderung: Peter Handke hat mit beinahe jeder neuen Arbeit auch neue Dramaturgien entwickelt und zur Erprobung angeboten.(...) Wie die frueheren kann auch diese juengste Herausforderung fuer die, die sich ihr stellen anreizend, und jedenfalls fuer die UEberpruefung allzu festsitzender, eingeuebter Mittel der Darstellung produktiv sein. Merkwuerdig uneindeutig auch die Kritik von Benjamin Henrichs in der Zeit, schwankend zwischen Liebe und Abkehr, mehr die (ironische) Leidensgeschichte eines Handke-Verehrers als eine Theaterkritik (Eine einzige Zumutung(...) eine wirkliche Dichtung ). Auch C. Bernd Sucher in der Sueddeutschen Zeitung hAelt sich lieber zurueck, auch ihm ist das Stueck zugegebenerma ssen nicht geheuer, aber er verteidigt Handke wie auch Botho Strau ss und dessen Stueck Ithaka : Nicht was sie denken, schreiben, hoffen ist gefAehrlich - denn ihre Zivilisationskritik, ihr Einspruch, diese durch feige UEbereinkuenfte domestizierte, aber keineswegs kultivierte Gesellschaft sei keineswegs die beste aller Moeglichkeiten, ist weder vermessen noch gar ein Angriff auf die Demokratie. Und weiter: Kunst darf sich keinen Zwang antun. Mu ss also nicht politisch korrekt sein! Kunst stellt in Frage. Genau das tut Handke, man mag es moegen - oder auch nicht.
Was darf man vermuten nach diesen ersten Stimmen nach der Urauffuehrung: Den Kritikern (und der liberalen OEffentlichkeit) ist relativ unwohl mit diesem Stueck. Es scheint etwas zu treffen, was man so nicht lesen, sehen moechte. Es ist die unerbittliche und wieder ungewohnte Frage nach einem moeglichen Zusammenhang einer Gesellschaft. Was zugestanden wird, ist die Aesthetische Herausforderung: das darf der Kuenstler, das soll er sogar tun. Der Kritiker behauptet die Autonomie der Kunst und verharmlost sie als folgenlos. Peter Handke - wie Botho Strau ss - werden seismographische FAehigkeiten zugebilligt. Das, was diese Seismographen aber erahnen, das wird nicht verfolgt. Es spricht also einiges dafuer, sich mit Peter Handke und seinem neuen Stueck zu beschAeftigen. ZunAechst gilt es, Ihnen die Geschichte der Zuruestung nachzuerzAehlen, wir sprechen ueber Handkes Haltung zu Jugoslawien, wir beschreiben die theatralische Herausforderung auch mit einem Rueckblick auf Die Stunde da wir nichts voneinander wu ssten , die Hartmut Wickert hier am Staatsschauspiel Hannover in der Spielzeit 1993/94 inszenierte, und wir denken nach ueber die Frage nach dem Koenig und eines neuen Gesetzes . Zum Abschlu ss werden wir das gesamte kommende Projekt skizzieren.
2. Ein Koenigsdrama nennt Peter Handke die Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit ,
und Koenigsdramen kennen wir von Shakespeare. Jan Kott hat die Welt in diesen Koenigsdramen den gro ssen Mechanismus genannt: ein Mechanismus, der stAerker ist als die Subjekte, der die KrAefte, die in ihm stecken, zermalmt, um neue KrAefte hervorzubringen. Es geht also um Geschichte und um die Geschichte als eine von mAechtigen Menschen gemachte und machbare. So auch bei Handke? Schauplatz des Dramas ist eine Enklave, umgeben von Fremde, bedroht von einem immerwAehrend-latenten Kriegszustand. Mit drei in die Ferne winkenden letzten Koenigen und dem die Sonnenzeit zwischen den Kriegen beschwoerenden Gro ssvater hebt das Stueck in shakespearscher / alttestamentarischer Manier an.
Die Soehne sind im Krieg gefallen, die Toechter schwanger; vergewaltigt die eine, heftig geliebt die andere von jeweils einem Soldaten der Invasionsbodentruppe, diese VAeter sind jetzt verschwunden und werden fuer immer unbekannt bleiben. Als politisch-historisches Gebilde ist die Enklave bislang bedeutungslos gewesen, Spielball der Gro ssmAechte, Kriegsopfer und Kolonie. Das soll sich nun mit dem Auftrag des Gro ssvaters Aendern. Ein Koenigreich soll erspielt werden. Und ein Koenig soll aus einem der beiden Enkel in den BAeuchen der Schwestern werden. Der Enklavenidiot, die ferne Abart eines Narren, der in jedem Koenigsdrama vorzukommen hat, beschreibt die Vergangenheit, an die es anzuknuepfen gilt so:
Hoere, Enklavenvolk. (Er haut dem VOLK das Buch auf den Kopf, nach LeibeskrAeften.) Hier war in der Vorzeit ein Koenigreich. Nur sind dazu kaum Koenige erschienen. Und wenn, so sind sie auf der Stelle gestorben. Ihre Maulwurfskadaver wurden, so geht die Sage, an Schnuere gereiht und an die GrenzbAeume gehAengt, als Abschreckungszauber. Im Wald dort drueben: Der Weg mit den schwarzen Schwellen aus dem Moorholz, das ist der Koenigsweg. Und der eine glimmerglitzernde Kiesel bei der weggeschwemmten Bruecke dort, am Grund des Bachbetts, ist eine Koenigsmuschel - ich bin gestern zu ihr hinabgetaucht. Und der Thron unserer Koenige stand nicht erhaben ueber der Erde, war vielmehr in diese eingesenkt, das Gegenteil von einem Pfauenthron - nicht alle die Trichter im Boden hier stammen von Bomben. Die Voelker jenseits der Grenzen bekamen ihre Koenige erst weit spAeter als wir, und sie setzten sie nach ganz anderen Ma ssstAeben ein: nach Reichtum, nach Kraft, nach Schoenheit, nach Mundwerk, und danach Vererbung. Wir dagegen, das erste Koenigsvolk, lie ssen den Koenig uns jeweils bestimmen durch einen Traum. Und damals trAeumte das Volk hier noch aufs Haar jeweils die gleichen TrAeume, zur gleichen Stunde der gleichen Nacht hat ein jeder Enklavenbewohner den gleichen Traum getrAeumt, wie noch frueher, wurde mir gesagt, sogar die ganze Weltbevoelkerung. Traumweise also fiel die Wahl auf unsere Vorzeitkoenige. Aber warum haben die sich kaum gezeigt? Ich wei ss es nicht. Niemand wei ss es. Sagst du es mir? Sagt ihr es mir? Ich suche ihn, den Koenig f& uuml;r hier, und nicht erst seit gestern. Hoere, Enklavenvolk: Keine neue Knechtschaft soll das hei ssen, sondern Freiheit - nein, etwas, fuer das ein Wort sich erst finden wird im Licht dann der Sache.

Zwei gegensAetzliche Cousins werden in diese Welt hineingeboren - Pablo, Held und Glueckskind der Gewalt, und Felipe, Krueppel, Ungluecksrabe und Anti-Held, Kind der Liebe. Sie sind also aufgerufen, sich einer Zeit zu stellen, die komplex, vielfAeltig und verwirrend ist. Das Babylonische in ihr wird zur Aufgabe, fordert zur heiteren Durchdringung auf. Vielfalt und Fremdheit sind nicht das Zerstoerende, sondern das Geforderte. Und so versuchen die beiden Cousins ein neues Koenigreich zu errichten. Pablo macht sich wie jeder Held auf die Reise in die Welt, Felipe bleibt zu Hause, weigert sich, das Weite zu suchen, aus Angst. Eine WandererzAehlerin taucht auf, der Idiot als unseliger Chronist des Enklavenvolks lAe sst sich abloesen von der jungen schoenen Frau, Expertin in den Anfangsmomenten damals an Wasser und Feuer, als niemand nichts sagte, und wieder nichts sagte. Wo ich auch durchwandere, kommen selbst die Alten, die doch, meint man Geschichten genug mit sich herumtragen, und sagen: ErzAehl mir von mir!
Sie erzAehlt also:
Die heutige Spielart der ihrer Fluegel beraubten Einbildungskraft kann kein FeenmAerchen mehr sein. Sie ist ein Drama. Da ss es mit den Sagen und MAerchen Schlu ss ist, hei sst nicht, da ss es blo ss noch Nachspiele gibt. Meine Quelle ist diejenige welche. In ihr loesen sich die dicksten und schlammigsten Blutpfropfen auf. Aufgepa sst, Volk: Erst mit mir wirst du geboren. Ich bin da, um dein Leben in die Hand zu nehmen - in beide HAende - und es zu beschwingen, fuer den Notfall oder auch blo ss so. HAettest du seit je gehoert auf das, was von mir kommt, du brAeuchtest keine andere Ordnung und auch keine ausdruecklichen Vorschriften. So aber hast du oft und oft vor mir nicht die Ohren gewaschen und warst immer wieder ein Drecksvolk. Taub fuer deine rechtmAe ssige und angestammte Herrscherin, hast du dir dann eine jede Fremdherrschaft verdient, solche oder solche. - Du sollst mich anschauen, Volk, wenn ich trotz allem noch, und vielleicht letztmalig in diesem Theater, zu dir spreche - oder wei sst du nicht einmal mehr, was schoen ist? Da ss du so verschlossen fuer mich bist, das ist jetzt das Drama. Zwar ist Frieden, und ich bin da, in Hoerweite. Nur der ErzAehler kann die Menschen verstehen, oder Gott - aber von dem la sst uns schweigen. Ich bin deine neue und letzte ErzAehlerin, Volk.

Felipe wird Schreiber, NacherzAehler und Chronist, Archivar der ErzAehlungen der ErzAehlerin. Er schreibt alles so auf, da ss keiner mehr erkennen kann, was da wirklich, in Wahrheit erzAehlt worden ist. Die Poesie bemAechtigt sich der Wirklichkeit und codiert sie, nimmt sie so wahr wie sonst keiner. Und damit alles schoen pa sst, wird die ErzAehlerin an die Seite des abwesenden Pablo phantasiert.
Eine gAenzlich destruktive Position nehmen die RaumverdrAenger ein. Wie die Philister im Alten oder die vier Engel aus der Offenbarung des Johannes im Neuen Testament oder die Journalisten unseres Zeitalters der Information erscheinen sie immer wieder an den RAendern des Geschehens. Angefuehrt werden sie vom HAeuptling, einem Halbbruder Pablos. Das Konzept dieser Rotte ist ein vollkommen antiidealistisches:
Das ist meine Sendung, meine Berufung: Vorzufuehren, da ss es in Wirklichkeit schon lAengst keine RAeume mehr gibt, nirgends, auch nicht hier. Raum: veraltet; das Wort Raum : veraltetes Wort, lAecherlich, altfrAenkisch. Wort wie Sache endlich weg von Tisch und Fenster. Raum, Gro ssraum, Raumordnung, Kleinraum: Schlu ss damit. Vorfuehren: Die RAeume hier als TAeuschung, Luftspiegelung, Fata Morgana. Als ausgereizt. Kein SterbensrAeumchen fuer gleichwen mehr auf Erden, geschweige denn ein Lebensraum. Und so der Neuanfang, nur so, der Welt. Nur so die neue Welt, unabhAengig, frei von den verbrauchten RAeumen. Vorfuehren: Wie das Raumsehen und Ausschauhalten das ewige Erwarten und Suchen hervorbringt, welches seit je die Welt zerstoert. Weltneuschaffen durch Entzaubern des Raums.

Der HAeuptling erzAehlt - auch er ein ErzAehler! - von dem Schock, den ihm die Konfrontation mit diesem naturverbundenen unmoeglichen Volk bereitete. So wie er den letzten Rest von Natur in sich losgeworden ist, so will er, da ss es mit allen sei.
Schon damals habe ich bei dem ersten Enklavenjungen, der mir ueber den Weg lief, gewu sst: Von dem moechte ich der Feind sein! Den werde ich bekAempfen, bis an sein Ende? Nein, ohne Ende ihn ausschalten. Aber nicht auf einmal, sondern nach und nach, Kampfschritt um Kampfschritt, von au ssen nach innen, bis es mit ihm aus ist - ausgetrAeumt, ausgespielt, ausgeblendet, und das ohne Ende. Die Leute hier, die weit und breit als die einzigen erscheinen, die noch so etwas wie einen Platz haben, von ihrem Platz verdrAengen, und zuallererst ihn, dessen siebenjAehrige Abwesenheit seinen Platz hier noch verstAerkt hat.

Pablo, der TrAeumer, dem alles gelingt, bleibt vierzehn statt sieben Jahre fort, in der Fremde. Das Volk ist aufgeblueht. Die Vorbildperson in der Ferne: Meine Bluetezeit! Pablo kehrt zurueck. Er spricht einen Hymnus auf den Raum, der ihm diese Enklave war: Raum immerwAehrenden Vorfruehlings . Mit diesem Hymnus begruendet er im Gegensatz zu dem HAeuptling noch einmal die Poesie dieser Enklave, dieses unmoeglichen Reichs der Au sserordentlichkeiten. Und seine Position beschreibt er so:
Nie mehr der Sieger sein, sondern der Fuersorgliche - der Schoepferische fuer heutzutage. Besser ein Geduldiger als ein Held. Fuer mich und meine Leute hier Gesetze schaffen, wie es sie noch nie gegeben hat, wie sie ohne Zwang sofort einleuchten, und wie sie auch fuer ueberall und alle gelten koennen - auch fuer mich selber! Nicht findig - fuendig werden! Die Enklavenverlassenheit darf nicht mehr unser Stammplatz sein. Warum nicht an die Macht kommen? Lust haben auf die Macht, entsprechend der Lust, die der Vorfruehling macht. Eine ganz neuartige, in der Geschichte bisher unbekannte, und dann selbstverstAendlichste Macht ausueben - etwas wie ein Freundschaftsspiel, welches zugleich doch zAehlt. Die Macht lieben auf eine Weise, wie in der Geschichte noch keiner je seine Macht geliebt hat, so da ss dieses Wort weltweit eine andere Bedeutung bekAeme und in einer Reihe stuende mit Stra ssenbahn, Bachbett, Vorstadt, Neuschnee, oder auch Speck, Tischtuch, Limerick, Domino, oder eben Vorfruehling. Es mu ss eine andere Gesellschaft her, nicht die entweder beschwert-hitzige, oder erleichtert-schlaffe von jetzt - andere Bauten, andere Formen, andere Bewegungen. Wer glaubt denn, heute in der richtigen Zeit zu sein - ueberhaupt in der Zeit zu sein -, au sser manche Sportler und Sprinter? Pablo nimmt die WandererzAehlerin zur Frau, als kennte er sie schon lange, erkennt er in ihr all die Frauen wieder, denen er begegnet ist in der Welt. Euphorisch nimmt er die gro sse Aufgabe, die ihm gestellt in Angriff. Er verkuendet: Ab heute ist das keine Enklave mehr, sondern ein eigenstAendiges Land. Alle uebrigen LAender der Erde haben uns anerkannt, als selbstAendigen Bereich, als unabhAengigen Staat, als eine neue Nation unter den inzwischen tausend-undsieben Nationen der Welt. Wir werden das nutzen. In hundert Jahren, selbst sollte die Erde dann nur noch rabenschwarzes Getoese sein, soll durch unsre Periode hier jetzt doch ueberliefert werden koennen, was Sonne, Farben, Bilder, Tanz, Toene, Stimmen, Stille, Raum sind. Von heute an werdet ihr, gerade ihr, die seit jeher so Raumunsicheren, die ehemaligen Enklavler mit den nach innen verdrehten Augen, das ausstrahlen, als das Weltkindvolk in der Mitte der anderen Voelker, die inzwischen allesamt zu Sekten zerfallen sind, je groe sser die Voelker, desto sektiererischer. Ich werde nicht mehr von hier weggehen. Und ich werde unserem Land eine Verfassung schaffen. Das hier geltende Recht wird, Gesetz fuer Gesetz, ein neues sein. Ohne solch ein neues Gesetz sind Sonne, Farben, Bilder, Tanz, Toene, Stimmen, Stille bei dem Stand der Geschichte jetzt nur noch zufAellig, ohne Spielraum und Grundlage. Ein Gesetz, welches das Leben nicht einschrAenkt, sondern loest, oder einschrAenkend es loest. Und wenn ich Leben oder Welt sage, meine ich etwas anderes als die Summe der heutigen Menschen! Ein Gesetz, das einem jeden den ihm eigenen Raum entdeckt, offenbart, lAe sst. Durch es werdet ihr, statt sporadisch Wunderbar! einfach und bestAendig sagen koennen: Recht so. Recht. Wenn mir dieses neue Recht hier glueckt: Leute, das wird einmal ein Triumph sein, der mich, anders als meine vorigen, ganz und gar nicht in meine ewige Schwermut stoe sst. Lebenslang wird dann hier ein einziger heller Gedanke gedacht werden, und nicht allein von mir. Und da seht ihr schon den Schimmer davon: Da und da, rundherum jetzt im Vorfruehling. Schaut.

Der letzte Koenig erscheint, eine Fluechtlingin stuetzt den Sterbenden, der von einem Schu ss getroffen, dann von der RaumverdrAengerrotte irgendwo verscharrt wird. Felipe und die Fluechtlingin werden ein Paar. Pablo beginnt mit seinen Bemuehungen um die Zuruestung fuer die Unsterblichkeit. Das ist Arbeit an einem Mythos, der das hektische Jetzt und Jetzt der Normalzeit ueberwinden moechte.
Unser Ausgangspunkt und unsere Grundlage: Sehnsucht und Gerechtigkeit. Unser Ziel fuer das ganze Land: TRAUM UND ARBEIT; Arbeit und Traum. Unsere Dauer: Das Ma ss! Und unser neues Gesetz: ein freudiges. Und das, worueber es schweigt, wird seine Eleganz ausmachen.

Zeit vergeht, die Enklave ist ein weites Land geworden, die einzige halbwegs leere Stelle auf Erden, die Leute kommen von ueberall auf der Welt her, um Luft zu schoepfen, die Freiheit und Offenheit zu atmen. Die Enklave ist zu einem Reich geworden.
... In einem Reich sein, hei sst, die tAeglichen Erscheinungen geschliffen sehen zu Kristallen.
Aber wenn jetzt die gro ssen Worte ins Spiel gebracht werden, mu ss auch die Gegenposition, der Zweifel, die Infragstellung her, weil das dem Prinzip des Phantasierens von Peter Handke zugehoert. Diese Rolle spielt das Volk mit seinem nun aufkommenden Mi ssmut. Die ErzAehlerin beklagt seine Verdrossenheit, Zuversichtslosigkeit, JAemmerlichkeit. Sie fordert Abhilfe und die schafft ihrer Meinung nach ein Gesetz, Gesetze, welche solche Volksleidensgeschichten vom Amsel- bis zum KrAehenfeld unter Strafe stellen. Und sie will Koenigin sein an der Seite des neuen Koenigs. Sie erzAehlt die RaumverdrAengerrotte, die gerade zum entscheidenden Vernichtungsschlag gegen Pablo anheben will, weg, und als der unter der Last des Ruhms und der Wichtigkeit unterzugehen droht, sich ein neuer Krieg am Horizont ankuendigt, drAengt sie ihn schlie sslich erfolgreich dazu, seine Aufgabe wahrzunehmen: Ein Gesetz zu verkuenden. Damit beginnt seine Einsamkeit, das Reich des Ruhms und des Todes? der Legende? Pablo mu ss gehen, diesmal in die Welt hinueber, er mu ss verkuenden. Auch diese Bewegung wird abgebrochen, aufgeloest, zurueckgebogen. Pablo kehrt zurueck. Die mit ihm waren, berichten dann, wie wenig ihm gelungen und wie wenig ueberhaupt zu hoeren gewesen ist. Die ewige poetische Suche nach dem Gesetz bleibt unabgeschlossen. Die Worte der WandererzAehlerin beschlie ssen das Stueck :
Zuzeiten geht es mit dem Weltlauf nicht weiter, weil zu vieles verschlossen ist - zuzeiten, weil zu vieles offensteht: Fuer beide FAelle bin ich da mit meinem Weg- und DazuerzAehlen(...) Eine Idee, die einmal erzAehlt worden ist, kann nicht mehr verschwinden. Sie macht sich in den Koepfen breit, Aendert die Gefuehle, Aendert die Gewohnheiten, lAe sst neue Haltungen wachsen.

3. Peter Handke und Jugoslawien
Im Sommer 1992 wird Peter Handke von der taz um eine Stellungnahme zum0 Buergerkrieg in Jugoslawien gebeten. Seine Antwort mit dem Titel Noch einmal fuer Jugoslawien ist ein moegliches, kleines Epos: das von den unterschiedlichen Kopfbedeckungen der voruebergehenden Menschheit in den gro ssen StAedten, wie zum Beispiel in Skopje in Mazedonien/Jugoslawien am 10. Dezember 1987. Sein Epos erzAehlt die Mannigfaltigkeit des Lebens im ehemaligen Jugoslawien: die Moslemkappe neben Schimuetzen, die Baskenmuetze neben Fellkappen, der Fez neben der Soldatenmuetze mit dem Titostern undsoweiter . Dieses undsoweiter, Handkes Schlu sswort, hat nicht stattgefunden. Sein Text ist eine Beschwoerung, die wei ss von ihrer Vergeblichkeit. Handke wei ss, da ss der Staat und die Idee Jugoslawien nicht mehr existiert. WAehrend die deutsche Presse und die deutsche Politik die Gruendung der Nationalstaaten Slowenien und Kroatien, also das defintive Ende des Tito-Jugoslawien, begrue sste, trauert Handke diesem Vielvoelkerstaat und Staatenbund nach. Wem oder was trauert Handke da nach ( auf den Knien rutschend am Hofe Milosevic - wie es die Zeit nicht lassen kann zu schreiben)? Wo oder was ist die Enklave, der szenische Ort der Zuruestungen ? Ganz sicher nicht das liebe Serbien , wie reflexhaft gleich mehrere Kritiker zu entdecken meinten. Handke verrAetselt gerne und viel und natuerlich - naturgemAe ss hAette Thomas Bernhard gesagt - liegt seine poetische Enklave im Reich der Phantasie, ist sie ein altes Handkewunderland, das mal das neunte Land hei sst oder Serbien (!), mal Niemandsbucht oder Land der wahren Empfindung , mal sonores Land , mal linkshAendiges Land oder wie auch immer. (Benjamin Henrichs) Oder wie manchmal auch nicht. Man koennte auch nachlesen: Abschied des TrAeumers vom neunten Land. Erinnerung an Slowenien hei sst ein wichtiger Text von Handke, den er 1991 in der Sueddeutschen Zeitung veroeffentlichte. Und in seiner gro ssen ErzAehlung Die Wiederholung hei sst das dritte und letzte Kapitel: Die Savanne der Freiheit und das neunte Land .
Das neunte Land ist das utopische Sehnsuchtsland, das der ErzAehler Filip Kobal auf der Suche nach seinem Bruder Gregor wandernd durchstreift, als ErzAehler die Wiederholung erlebend als erstmalige Erfahrung der Kindheit . Slowenien ist das Land der muetterlichen Vorfahren Handkes und es ist sein erschriebenes Kindheitsland. Was schreibt Handke ueber Jugoslawien:
Begeisterung dagegen, und ich habe das auf meinen Wegen immer wieder gesehen, herrschte und dauerte, wenigsten ein paar Jahre nach Titos Tod, fuer den Staat Jugoslawien. Und es war keine Ideologie mehr, die das bewirkte, kein Titoismus, kein Partisanen- oder Veteranentum. Es war der Enthusiasmus der Jungen, aus den verschiedenen Voelkern; am stAerksten sichtbar, wo sie, in gleichwelchem Land, miteinander zusammentrafen....Damals geschah es, da ss ich diese slowenischen, serbischen, kroatischen, makedonischen, herzegownischen Studenten, Arbeiter, Sportler, TAenzer, SAenger, Liebhaber - ein jeder duenkte mich als das alles in einem - um ihre Jugend herzlich beneidete, und damals war es auch, da ss Jugoslawien mir das wirklichste Land in Europa bedeutet.

Nicht das sinnvollste, schoenste oder friedlichste, nein: das wirklichste. Zu Hause in Slowenien, Jugoslawien? In der Wirklichkeit. Was meint das - wirklich?
Wie gegenstAendlich aber wurden dafuer mir durch die Jahre, jedesmal, gleich beim wiederholten UEberschreiten der Grenze, die Dinge in Slowenien: Sie entzogen sich nicht - wie das meiste inzwischen nicht blo ss in Deutschland, sondern ueberall in der Westwelt -, sie gingen einem zur Hand. Ein Flu ssuebergang lie ss sich spueren als Bruecke; eine WasseroberflAeche wurde zum See; der gehende fuehlte sich immer wieder von einem Huegelzug, einer HAeuserreihe, einem Obstgarten begleitet,...wobei das Gemeinsame all dieser Dinge, die gewisse herzhafte Unscheinbarkeit gewesen ist, eine Allerwelthaftigkeit: eben das Wirkliche, welches wie wohl nichts sonst jenes Zuhause-Gefuehl des Das ist es, jetzt bin ich endlich hier! ermoeglicht.

Dies Wirkliche, dies Dinghafte hat auch mit der Sprache, mit dem Slowenischen zu tun. In einer Rede auf den slowenischen Dichter Gustav Janus schreibt Handke:
Aus dem Slowenischen hoere ich jedoch noch einen Zusatz zu all dem Schoenen und Lieblichen jeder Sprache heraus. Vielleicht ist es die Fuelle der dinglichen Woerter, das hei sst der Woerter, die zugleich die Melodie, die Farbe, die Form, die Fruchtigkeit des jeweiligen Dinges wiedergeben. Und es handelt sich immer um die sogenannt kleinen, die lAendlichen, die natuerlichen Dinge, auch der Menschennatur.(...) Dabei darf nicht verschwiegen werden, da ss die slowenischen Sprache, was die Begriffe, Abstraktionen, amtlichen Woerter betrifft,(...) von einer absurden Kuenstlichkeit ist: die Amtswoerter sind nAemlich jeweils woertliche Entsprechungen zum Deutschen; es hat sie in Slowenien nie gegeben; denn die Slowenen waren immer nur ein Volk - sie waren nur ein Volk, und nie ein Staat.

Was ist die Bedingung fuer jenes reine GegenwAertigsein : Geschichtslosigkeit hei sst Handkes Antwort. Slowenien war immer eigenstAendig, aber es war nie ein Staat, es hatte nie eine (poltische) Geschichte. Handkes Bild bestehtd aus dem Zusammenhang der verschiedenen EigenstAendigkeiten der jugoslawischen Voelker, eine Einigung, legitimiert aus dem Kampf gegen das faschistische Deutschland. Slowenien war fuer ihn nicht Sueden, nicht Osten, nicht Balkan, sondern etwas MAerchenwirkliches , es hatte ein greifbares Eigendasein . Nie, niemals hatte das slowenische Volk so etwas wie einen Staatentraum behauptet Handke, doch dann entstand aus dem urslowenischen MAerchen vom neunten Land die Gespensterrede von einem Mitteleuropa , eine politische Rede, die den Nationalstaat Slowenien forderte, die Losloesung vom gro ssserbischen Panzerkommunismus , die Angliederung an den Westen. Der regelrechte Staat Republik Slowenien war das Ende eines Traumes, auch das Ende eines Handke-Traumes. Aus sporadischen ErzAehlern wurden Sprecher , aus Slowenen MitteleuropAeer und statt des Austausches der Kultur droht der Schwefel und Schwafel einer lAengst entseelten Folklore . Die Staatengruendung lAe sst Handke einen slowenischen Freund so beschreiben: In der ganzen bisherigen Geschichte war stets nur die Mutter da. Unser Vater hat immer geschlafen. Innen im Berg, du wei sst schon. Ist hoechstens kurz aufgetaucht, wie ein Traumwandler, gestern hier, morgen dort, du wei sst schon, Koenig des neunten Landes, und gleich wieder verschwunden. Jetzt ist der Vater aufgewacht. Die Pointe des ErzAehlers ist auch die Pointe Peter Handkes, vielleicht auch die Pointe der Zuruestungen : Aber ob das je seiner Kinder Wunsch war? In seinem Stueck lAe sst Handke das Volk ausrufen: Kein Koenig! Das Gesetz und sonst nichts. Und vielleicht nicht einmal das Gestz! Hoechstens das Eintagskoenigtum - Heute! Was hilft eine solche Konkretisierung, Reduzierung eines poetischen Textes. Es relativiert zum einen die Figuren Pablo und ErzAehlerin - ihre Positionen sind mitnichten die des Autors (eine Argumentation, mit der fast alle Kritiker Handkes arbeiten), sie sind Teil seines offenen Spieles. Und sie relativiert die unpolitschen und unreflektierten Lesarten der meisten Kritiker: Handkes Stueck ist ein klares PlAedoyer gegen die sich gruendenden Nationalstaaten, gegen einen Nationalismus, gegen eine Staatlichkeit, die nur behauptet, was sie im Inneren verrAet: EigenstAendigkeit, Autonomie, Wirklichkeit . Aus einer solchen verzweifelten, weil vereinzelten Position lassen sich auch Handkes Provokationen seiner Reiseberichte verstehen: die Serben als Indianer der Gegenwart, WiderstandskAempfer im Namen der Wirklichkeit gegen die RaumverdrAenger des Westens.

4. Das Koenigsdrama Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit
reiht sich ein in eine Kette von Versuchen Handkes, das Theater je neu zu definieren, und es als Ort zu etablieren, an dem es moeglich ist eine Einheit zwischen Zuschauern und Spiel herzustellen, fuer eine kurze Weile den Alltag zu steigern und zu ueberhoehen, um ihn so wahrnehmbarer, erfahrbarer zu machen. Der Raum, der so entstehen soll, ist kein anderer als der, von dem Handke immer wieder erzAehlt. So hei sst es in den Reflexionen ueber Slowenien:
...du warst deinem Gast nicht Osten, nicht Sueden, geschweige denn balkanesisch, bedeutest vielmehr etwas Drittes, oder Neuntes , Unbennenbares, dafuer aber MAerchenwirkliches, durch dein mit jedem Schritt - Slowenien, meine Geh-Heimat - greifbares Eigendasein, so wunderbar wirklich auch, wie ich es ja mit den Augen erlebte, gerade im Verband des dich umgebenden und zugleich durchdringenden - dir entsprechenden! - Geschichtsgebildes, des gro ssen Jugoslawien.
Oder Aehnlich in seiner Poetik, der Lehre der Saint-Victoire :
Warum sage ich: Recht, zu schreiben? - Es kam da zu dem Augenblick unbestimmter Liebe, ohne den es rechtens kein Schreiben gibt. - In der Tiefe des Seitenwegs sah ich nAemlich einen Maulbeerbaum (eigentlich nur die roetlichen Fruchtsaftflecken im hellen Wegstaub) in frischer, leuchtender Einheit mit dem Saftrot der Maulbeeren vom Sommer 1971 in Jugoslawien, wo ich mir erstmals eine vernuenftige Freude hatte denken koennen; und etwas, der Anblick?, meine Augen?, dunkelte - wobei zugleich jede Einzelheit rund und klar erschien; dazu ein Schweigen, mit dem das gewoehnliche Ich rein Niemand wurde und ich, mit einem Ruck der Verwandlung, mehr als blo ss unsichtbar: der Schriftsteller. Ja: dieser dAemmernde Seitenweg gehoerte jetzt mir und wurde nennbar. Mit den Maulbeerenflecken im Staub vereinte der Augenblick der Phantasie (in dem allein ich ganz und mir wirklich bin und die Wahrheit wei ss) nicht blo ss die eigenen Lebensbruchstuecke in Unschuld, sondern eroeffnete mir auch neu meine Verwandtschaft mit anderen, unbekannten Lehen, und wirkte so als unbestimmte Liebe, mit der Lust, diese, in einer treuestiftenden Form!, weiterzugeben, als berechtigten Vorschlag, fuer den Zusammenhalt meines nie bestimmbaren, verborgenen Volkes, als unsere gemeinsame Daseinsform: erleichternder, erheiternder, verwegener Sollensmoment des Schreibens; bei dem ich ruhig wurde wie bei der Idee eines Schiffs . - Doch gleich kam auch wieder die uebliche Qual, oder QuAelerei (die freilich ein Gegenteil ist von Verzweiflung): Aber was ist die Form? Was hat der Unschuldige, der ich hier bin (nicht gut fuehle ich mich, nur eben schuldlos), ueberhaupt zu erzAehlen ? Und wer ist der Held einer solchen ErzAehlung? (Denn wer sonst, unbestimmbare Leser, als der Gegenstand eines Bildes oder der Held einer Geschichte hat euch je im Leben einen Vorschlag gemacht?)
War der Raum in Die Stunde da wir nichts voneinander wu ssten ein leerer Platz, in den sich die Vielfalt der Menschen, die ihn betreten und betreten haben, ihn ueberqueren und auf ihm verweilen, einschreibt, um so etwas wie ein Menschheitspanorama eines Augenblicks und damit zugleich ueber alle Zeiten hinaus zu werden, so verwandelt sich dieser leere Platz nun in eine Enklave oder: Enklavenbuehne (Szene 3), die sicher nicht weniger Theaterbuehne ist wie jener leere Platz. Das Theater ist Handke der Ort fuer BuehnenvorgAenge, die nicht blo ss Aesthetischen sondern anthropologischen Experimenten gleichen. Er konfrontiert die Menschen, Zuschauer wie Schauspieler, mit dem Schauspiel des Lebens selbst, und das hei sst mit einer Vielfalt von Erscheinungen, bzw. Sprechversuchen. Weniger Interpretieren , mit Bedeutung aufladen, als Sehen und Hoeren stehen im Zentrum der Aufgabe: Dazu geht Handke ins Extrem: die Rollen der Schauspieler werden in Die Stunde... reduziert auf winzige Auftritte, die schon durch die Tatsache der aufwendigen Vorbereitungen keine psychologische Fundierung vertragen. Auf Gesten, klare Umrisse und Zeichnung, die Betonung des Gehens z.B. kommt es in einer Situation an, die das Wort als Mittel zur ErklAerung und Bezeichnung verweigert. Das Theater rueckbezieht sich auf die gro ssen aus dem Barock stammenden Versuche eines WELTTHEATERS, der Allegorese einer zersplitternden, fragmentarisiert und unueberschaubar werdenden Welt. Und da ss dieser Rueckbezug auch ein Vergleichen ist, ein Ins-VerhAeltnis-Setzen, ein Erkennen der eigenen Zeit im Spiegel einer mit Aehnlichen Problemen konfrontierten Vergangenheit legt Walter Benjamin in seinem Trauerspielbuch dar: Barock (ist) ein Zeitalter weniger der eigentlichen Kunstuebung als eines unablenkbaren Kunstwollens. So steht es immer um die sogenannten Zeiten des Verfalls. Das hoechste Wirkliche der Kunst ist isoliertes, abgeschlossenes Werk. Zu Zeiten aber bleibt das runde Werk allein dem Epigonen erreichbar. Das sind die Zeiten des Verfalls der Kuenste, ihres Wollens .(...)
Immer ist diese Gewaltsamkeit Kennzeichen einer Produktion, in welcher ein geformter Ausdruck wahrhaften Gehalts kaum dem Konflikt entbundener KrAefte abzuringen ist. In solcher Zerrissenheit spiegelt die Gegenwart gewisse Seiten der barocken Geistesverfassung bis in die Einzelheiten der Kunstuebung.
Handke versucht nichts weniger als das unueberschaubare Chaos der Menschenwelt darstellbar zu machen: Das Drama in der scheinbaren Zusammenhanglosigkeit der Einzelerscheinungen zu finden, dem babylonischen Chaos mit poetischer Entdeckerfreude eine QualitAet abzugewinnen. Und die zielt letztlich auf alles ab, blo ss nicht auf Deutung, Meinung, Urteil. Die poetische Synthesis wird zum Mittel, das VielfAeltig-Fremde au sserhalb des Betrachters in ihm zum Zusammenhang zu bringen: die Wahrnehmung wird zum Ort der Verbindung, zum Knotenpunkt, zum Ort, an dem die Vielfalt zur Einheit geordnet wird: und diese Einheit ist die des Erkennens. Handke etabliert so das Theater als einen Ort privilegierter Erkenntnismoeglichkeit: Das Sehen steht auf dem Pruefstand, indem es mit der Aufforderung verbunden wird, es als einen mit dem Objekt sich verbindenden Akt zu verstehen: Was du gesehen hast, verrat es nicht/bleib in dem Bild. , hei sst das Motto ueber der Stunde da wir nichts voneinander wu ssten . Und in gleicher Weise jetzt auch (wieder) das ErzAehlen, das Reden, der bewu sste Umgang mit Sprache als einem Mittel, sich in Verbindung zu bringen mit dem Ausgesprochenen. Diese Auffassung vom Theater entfernt sich davon, den Text als eine blo sse Beschreibung der fluechtigen Au ssenwelt zu verstehen. Einerseits wird er poetische Auslegung der Wirklichkeit, subjektive Objektivierung von Gesehenem und Erlebtem, andererseits Vorgang, paradoxer Versuch, das Erratische des Verkuendens, Prophezeiens, Verhei ssens mit der BanalitAet der Unabgeschlossenheit des alltAeglichen Sprechvorgangs in Einklang zu bringen. Daraus entstehen Spannungen, die dem Zuschauer einen eminent gro ssen Raum zur Verfuegung stellen, mitzuformulieren, weiterzuphantasieren oder - zu fluechten.
Handke setzt eine Art teilnahmsloser, interesseloser Beobachtung voraus, um eine gesteigerte WahrnehmungsfAehigkeit zu erarbeiten: er lAe sst in all den alltAeglichen Figurationen der Menschen, die vor dem Auge des Betrachters erscheinen (immer noch ist von Der Stunde, da wir nichts voneinander wu ssten die Rede und damit auch grundsAetzlich von dem poetologischen Verfahren des Autors), ein Defilee, einen Zusammenhang entstehen, der Visionen, Halluzinationen, Projektionen moeglich macht, die wiederum die Wirklichkeit in quasi-mystische Dimensionen hineinsteigern. Es soll eine Verbundenheit von Allem mit Allem, von Jedem mit Allem entstehen, eine Art poetisches GedAechtnis/ Erinnerungsvermoegen der langen Geschichte der Menschheit, des langen Wegs der Menschheitsgeschichte. Es entstehen Geschichten, die der Betrachter erfindet, es erscheinen mythologische Figuren, die ihre Wirklichkeit aus dem Eingedenken, dem Assoziationsvermoegen des Betrachters erhalten, und schlie sslich Beziehungen zwischen den Fragmenten. Das ewige Werden und Vergehen von Gestalten steigert sich zu einer verklAerten Gemeinschaft von GlAeubigen, die an einem spAeten Punkt des Textes die Buehne besetzen, belagern, die Bewegungen in ein Innehalten verwandeln und in einen Zustand gemeinschaftlich glAeubigen Wartens versinken. Allerlei Toene, Hinweise, Reize, Zeichen (eine Naturkatastrophe : die Sintflut ): -
..ein Sturm brach los, hoch ueber dem Platz, ein Donnern und Knattern, ohne da ss sich an denen unten die Haare ruehren. Rings um die Szene ging dann ein vielfAeltiges Klagegeschrei, hier von einem Kind, dort von einem Elefanten, dort von einem Schwein, einem Hund, einem Nashorn, einem Stier, einem Esel, einem Wal, einem Saurier, einer Katze, einem Igel, einer Schildkroete, einem Regenwurm, einem Tiger, dem Leviathan.
- fordern schlie sslich das Wunder: das entdeckt sich als das ploetzliche Aufstehen des Wanderers, einer mehr und mehr identifizierbar gewordenen Gestalt, und seiner Anma ssung, dem Zusammensein einen gesteigerten Ausdruck zu verleihen. Er erhebt sich priestergleich und hebt an zu sprechen. Vor dem Form gewordenen Ausdruck, dem Laut aber, dem Beginn dessen, was das ewige Verfehlen der Menschen einleitet, nAemlich dem endlosen, unaufloeslichen Verfallensein an die Metaphysik der PrAesenz, des Sinns und der Bedeutung, hAelt der Autor inne, es bleibt bei dem Impuls, dem Ansatz, den die Gemeinde nun in individuell unterschiedlicher Weise ausdeutet, um wiederum auseinanderzufallen. Die Erfahrung, die gemacht wurde, die des intentionslosen Beisammenseins in Erwartung, wird an die Stelle der Heilsverkuendung gesetzt, und unter dieser PrAemisse wird nun das Spiel fortgesetzt, noch freudiger und lustvoller, schlie sslich umfassender, gesellen sich jetzt auch noch Zuschauer aus dem Publikum mit unter die Spielenden. Im Spiel vom Fragen findet sich eine Poetologie des Schauspielers, damit auch des Theaters und seiner Wirkungsmoeglichkeiten:
...zu dem, von dem jeder im Publikum sagen kann Mein Schauspieler werde nur, wer, was er seit der fruehesten Kindheit in einem unsichtbaren Licht vorgehen spuerte, im sichtbaren Licht verfeinert wiederholte - als die DURCHLAESSIGKEIT in Person - , so da ss am Ende nicht er, sondern die Leute als Schauspieler nachhause gehen, und zwar als von ihrem Schauspielertum ueberzeugte, weil sie durch ihn, den DurchlAesse-Schaffenden, erst begriffen haben, da ss auch sie dies immer wieder verkoerpern und nur in jenen Schauspielermomenten sich selbst wie ihre NAechsten als die Helden und die Einsamen erfahren, welche wir, unsere Mutter, unser Vater, unser Bruder, unsere Nachbarn in Wahrheit ja sind. ( Das Spiel vom Fragen ).
Von den AnfAengen seiner Theaterarbeit an formuliert Handke den BEGRIFF DER ROLLE um. Sprecher oder Spieler sind gefragt und nicht Darsteller, die sich hinter der Maske der Rolle und der Handlung den Raum fuer die VirtuositAet und UEberzeugungskraft schaffen, andere Leben zu kopieren. SPRECHEN ist von anfang an zentrales Thema. Die Sprache als das Darstellungsmittel des Menschen, in dem sich seine Wahrheit enthuellt, in dem er sichtbar wird, das Sprechen als ein Akt der AnnAeherung und Verbindung mit der Wirklichkeit, die Sprache als der Ort, von dem aus sich die Menschen zurueckbewegen koennen in jenen mythologischen Raum der Ungetrenntheit, fuer das das ALTE TESTAMENT die Bezeichnung Paradies bereithAelt, jenseits von Gut und Boese, das sind die gro ssen Aufgaben, die Handke sich und den Schauspielern seiner Stuecke stellt. Sprechen als ewige AnnAeherung an die Wahrheit, die sich seit dem Suendenfall verbirgt, also koennte das Thema Handkes hei ssen. Und die Schauspieler sind so etwas wie die offenen GefAe sse, Instrumente durch die dies Sprechen vernehmlich wird.
Die fruehen Stuecke Handkes hei ssen SPRECHSTUECKE, die Rollen hei ssen SPRECHER (in Publikumsbeschimpfung , Weissagung , Hilferufe ). Und auch in den Stuecken, in denen nicht gesprochen wird ( Das Muendel will Vormund sein , Die Stunde... ) geht es um das Sprechen. Um das, was zum Sprechen drAengt, was vor dem Wort und den vielen unterschiedlichen Moeglichkeiten des Wortergreifens liegt. Die Darstellbarkeit des Sprechens ist unendlich vielfAeltig, das Sprechen stellt sich als das unendliche Feld, Wahrnehmung zu ermoeglichen oder zu verstellen, dar. Darstellung der Sprache im Vorgang des Sprechens, das sich darstellt als unabgeschlossene Bewegung um einen Begriff herum, der in seiner Unbedachtheit so infragegestellt wird. Auch das wird zur Aufageb des Schauspielers, die Worte, die vom Alltag, vom Mi ssbrauch abgenutzt und bedeutungslos geworden sind, verbla sst, wieder aufleuchten zu lassen, mit Bedeutung anzufuellen, hoerbar zu machen im Rauschen des GeschwAetzes, wie Kierkegaard die Sprache nach dem Suendenfall nennt.
5. Warten auf den Koenig Peter Handke (& Botho Strau ss) und das neue Gesetz.-
1990 schrieb Jan Philipp Reemstma in der Zeitschrift konkret - angesichts des Zusammenbruchs der Sowjetunion und angesichts des jugoslawischen Buergerkriegs:
Es mag der Blick auf die Weltgeschichte dem Aehnlich werden, den man durch die Seiten eines Geschichtsbuch auf die Kriegs- und Verwuestungszuege des Drei ssigjAehrigen Krieges tut: man moechte schreien, da ss sie nur ein Ende mit dem machen sollen, was sie da tun, egal wer gewinnt
. Es ist die verzweifelte Suche nach dem SouverAen, der - nach Carl Schmitts beruehmt-beruechtigter Definition - den Ausnahmezustand beenden oder eben bestimmen kann. Der Ausnahmezustand scheint zur Regel geworden zu sein, der Blick auf unsere Zivilgesellschaft Aehnelt dem Blick auf die Weltgeschichte, ja in Handkes Mein Jahr in der Niemandsbucht tobt der Buergerkrieg bereits im wiedervereinigten Deutschland, wAehrend der ErzAehler in seiner Enklave des Pariser Vorortes ruhig seinen GeschAeften nachgeht. Irgendetwas, irgendjemand fehlt, eine empfundene oder reale Luecke zu schlie ssen.
Der Ideenhimmel ist verbraucht. Es gibt nur noch MAerkte, und dadurch geschieht eine ungeheure Leere. Die Frage ist, ob die Menschen das aushalten.
Ein Satz von Heiner Mueller und eine Frage, die im GedAechtnis bleiben wird. Der Kapitalismus ist weltweit ohne Alternative, es gibt kein Versprechen auf Zukunft mehr. Die Welt ist endgueltig eine immanente, geschlossene geworden. Die Wirklichkeit ist zur OberflAeche reduziert, die in ihrer Eindeutigkeit vielleicht nichts mehr zu verbergen hat. Noch immer wird versucht, sie ideologiekritisch zu hinterfragen, wird sich versucht an der Arbeit der Dekonstruktion. Andere schlagen anderes vor. Sie blicken zurueck in die Antike oder nach vorn in ein ungefAehres Neue.
Zwei Personen, zwei Literaten/Poeten stehen fuer diese Abkehr von Zivilisationskritik, fuer dieses Verlassen von sicheren UEbereinkuenften: Botho Strau ss und Peter Handke. Beide haben sie die Arbeit an der Dekonstruktion aufgegeben, beide behaupten sie die Konstruktion von etwas Neuem. Beider Ton ist ein hoher und ein ungewoehnlicher - er ist noch unerhoert und er ist scheinbar siegessicher. WAehrend Botho Strau ss in Ithaka. Schauspiel nach den Heimkehr-GesAengen der Odyssee hinter der Maske Homers Odysseus zurueckkommen lAe sst, um unter den prassenden Freiern Penelopes gewaltsam eine alte/neue Ordnung herzustellen, verlangt Peter Handke gar nach einem Koenig und hebt an zur Verkuendigung eines neuen Gesetz der allgemeinen BesAenftigung, das, was die Natur nicht kann. Beides ist vielen (unter uns) suspekt und wie gleichgeschaltet hat die aufgeklAerte, linksliberale OEffentlichkeit reagiert: irrational, antimodern und antidemokratisch waren nur die harmlosesten Vorwuerfe. Also zwei Koenigssucher (&-kinder) unter dem Verdacht der Reaktion. Die Frage ist natuerlich, ob dem so ist und zum zweiten, ob es da zwischen den beiden nicht Unterschiede gibt, die vielleicht nicht unwichtig, vielleicht aber auch ums Ganze gehen. Im Fall Botho Strau ss ist die Frage auf den ersten Blick am einfachsten zu beantworten. Thomas Assheuers Lesart in der Zeit (Die Ornamente der Ordnung. Antimoderne und politischer Mythos im Koenigsdrama: Botho Strau ss und Peter Handke suchen den SouverAen. Die Zeit vom 28.2.97) ist in seiner Analogieunterstellung eindeutig und vermutlich richtig: Bei Strau ss aber ist die Wunschinsel eine Kolonie der Moderne; belagert von Cola trinkenden Maulhelden, geschwAetzigen HAendlern und leichenblassen Liberalen. Sie ueben Willkuerschaft ueber die Dinge und vergreifen sich an der Sprache. Unter der Fremdherrschaft der Modernen ist kein Glueck, nur Gier, Langeweile und Frevel. Liest man Ithaka auf der Folie der letzten AEu sserungen von Botho Strau ss zur Bundesrepublik, liest man es auf Verdachtsmomente hin, findet man auch die Analyse von Richard Herzinger in Theater Heute (8/1996) bestAetigt: Propagierung von politischer Romantik, koeniglicher Restauration und zeitloser Ordnung. Strau ss unschuldiges Vorwort (Dies ist eine UEbersetzung von Lektuere in Schauspiel. Nicht mehr als hoebe jemand den Kopf aus dem Buch des Homer und erblicke vor sich auf einer Buehne das lange Finale von Ithaka, wie er sich s vorstellt. ) kann da natuerlich nur ein ironischer Schutz des Autors des Bocksgesangs sein. Dem ist aber nicht unwichtiges hinzuzufuegen.
Die Ideologiekritik lAeuft nAemlich in diesem Fall ins Leere: enttarnt wird, was offen ausgesprochenes Programm ist. Botho Strau ss mu ss nicht muehselig entlarvt werden als politischer Romantiker und Vertreter einer konservativen Kulturkritik: er hat sich selber dort verortet mit der einverstandenen Publizierung des Bocksgesangs im Sammelband Die selbstbewu sste Nation : ein offener Rechtsdiskurs mit Berufung auf Carl Schmitt und Ernst Juenger. Es mue ssten sich aber andere Fragen stellen - jenseits einer erregten AufklAerung -, um diesem Autor gerecht zu werden. Und das sind zuerst und vor allem Fragen nach einer genauen Lektuere, oder ganz einfach die Frage, ob die Kritik das Stueck auch bis an sein Ende gelesen hat. Assheuer schreibt: Odysseus entrinnt nicht dem Mythos, sondern setzt ihn als politischen wieder ins Recht. Seine Tat ist Wiederherstellung; er restauriert eine neuheidnisch ausgemalte Naturordnung aus Macht und Sprache; ein rechtsetzender SouverAen ordnet die Worte fuer eine neue Lesbarkeit der Welt. Genau das aber tut Odysseus nicht. Seine Gewalttat, seine BrutalitAet ist keine richtende im Sinne Walter Benjamins ( die das Stueck Ithaka als eine solche feiert , wie Assheuer meint) - also eine das neu Recht setzende, die Permanenz des Gewaltzusammenhangs aufhebende - , sondern sein Gewaltakt beschwoert nur einen neuen Gewaltzustand ohne jede Ordnung: den totalen Buergerkrieg. Die toten Freier wollen gerAecht werden und Odysseus droht zusammen mit seinem Vater und seinem Sohn von diesen niedergemetzelt zu werden. Hier hilft kein einzelner mehr, hier hilft nur goettlicher Ratschlu ss. Zeus selbst, durch den Mund der Athene, beendet das Stueck und verkuendet das neue Gesetz des Friedens. Wir aber verfuegen, was recht ist: aus dem GedAechtnis des Volkes wird Mord und Verbrechen des Koenigs getilgt. Herrscher und Untertan lieben einander wie frueher. Daraus erwachsen Wohlstand und Fuelle des Friedens den Menschen. Aus goettlichen Spruch entstand der Vertrag. Ein ziemlich merkwuerdiger Schlu ss: die Loesung ist eine goettliche, die scheinbar propagierte Tat des Odysseus wird als Mord und Verbrechen bezeichnet und - und das ist entscheidend -: das GedAechtnis des Volkes (also: Literatur) mu ss getilgt werden, damit ein politischer Frieden moeglich ist.
Der politische Fall Botho Strau ss ist vielleicht doch komplizierter als manche sich wuenschen und mit einfachen Identifizierungen von Figur und Autor ist ihm nicht beizukommen. Ganz andere Fragen an den Text hat Karl-Heinz Bohrer im Dezember-Heft des Merkur gestellt. Es geht ihm um das homersche Phantasma der Grausamkeit und des Todes. Die BrutalitAet des Odysseus, also das von Homer nackt und lakonisch erzAehlte, von ihm in der Tat gefeierte (und nicht mit Sinn aufgeladene) Abschlachten der Freier, ist fuer Bohrer Beleg einer AEsthetik des erhabenen Grauens. Der Schrecken der Tragoedie ist bei Homer - so Bohrers Behauptung in der Tradition Nietzsches - kein reinigender, sondern ein Tonicum. Also ein StAerkungsmittel. Oder anders und einfacher: durch die Homersche Grausamkeit des reinen Augenblicks - fortgefuehrt beispielsweise durch die Grausamkeiten des Surrealismus (das zerschnittene Auge bei Bunuel) - erkennen wir, gestAerkt, unsere eigene Existenz: da ss nAemlich das lakonische Addieren von koerperlichen Details ohne Zukunft der Condition humaine nAeher kommt als alle spAeteren Spiritualisierung. Und genau dieser Frage stellt Strau ss sich nicht. Nach Bohrer hindert die kognitive Empfindsamkeit des Achtundsechziger Strau ss daran, einer Existenz ins Auge zu blicken, die keinen Trost bereit stellt - einer nihilistischen Existenz ohne die Sinnangebote von Religion, Geschichtsphilosophie oder kommunikativer Gesellschaft. Strau ss loest die einzelnen Momente des Schreckens in episierende SinnzusammenhAenge auf, er ironisiert und entschAerft die Homersche Vorlage (Das Schie ssen auf MAenner ist hier verboten. ) und benutzt den Sprachgestus der Bundesrepublik (manchmal sei man trotzdem allein ). Bohrers Behauptung allerdings, da ss Strau ss mit Ithaka keine aktuelle Thematik erkennbar macht oder machen will, er sich nur fuer den Mythos interessiert und an eben dem kuenstlerisch scheitert, lAe sst sich nur aus Bohrers Polemik gegen die harmlos-politische MentalitAet der westdeutschen Ideologiekritik erklAeren. Eher ist es doch so, da ss der ablesbare Wunsch, mit Hilfe der Odyssee etwas ueber die Bundesrepublik und den Westen zu erzAehlen (Abschweifungen, Nebengedanken, Assoziationen, die die Lektuere begleiten, werden dabei zu Bestandteilen der Dramaturgie. ), Strau ss daran hindert, sich dem Skandal des Schreckens zu stellen, illusionslos auf die Troestungen eines wie auch immer formulierten Ordnungskonzeptes zu verzichten. WAere Ithaka im Sinne Bohrers das, was es vorgibt: Kunst im autonomen Anspruch, Einspruch gegen die Wirklichkeit und nicht Kommentar, wAere die ganze Aufregung um links und rechts unnoetig: Kunst ist Macht. Nicht Linksmacht. Nicht Rechtsmacht. Sie ist Ausgleichsmacht gegen diese. , schreibt Klaus Theweleit in seinem Buch der Koenige , seinem gro ssen Versuch, den Koenigen, Koenigssuchern und Koenigskindern auf die FAehrte zu kommen. Zusammengefa sst: Botho Strau ss fuehrt einen - zugegebenerma ssen und empoert zu Kenntnis genommen - politischen Rechtsdiskurs, aber er propagiert keine autoritAeren, gewaltsam durchzusetzende Politikmodelle. Sein durchgespielter Vorschlag wird vom Text selbst kontrastiert, und - und das erscheint mir wichtiger - er ist was er frueher in seinen literarischen Beobachtungen nicht war: ein Gro ssartist, ein Gro ssschriftsteller (fast ein Antipode zu Guenther Grass), der in der Instrumentalisierung der Odyssee behauptet, der Gesellschaft einen Sinn aufladen zu koennen. Wortsinn statt Wortsound. Viel Koenige schmei ssen mit ihren Kronen durch die Gegend, Was ist denn an einer Krone so heilig? sang einmal Bob Dylan und auch bei Handke findet das Volk die Krone irgendwo in der Gegend dort hinten in der Ackerfurche. Ich hab sie zuerst fuer einen Erdapfel gehalten.
Natuerlich schreibt Peter Handke im hohen Ton, ueber den man sich relativ einfach und schmerzfrei belustigen kann. Aber anders als Strau ss hat Peter Handke immer auch ueber Dinge und Menschen geschrieben, die Botho Strau ss vermutlich nicht oder nicht mehr kennt: es sind SAenger wie Van Morrison oder eben Bob Dylan, es ist die Musik von Creedence Clearwater Revival, es ist die Juke-Box, es sind die Western von John Ford und die Filme von Wim Wenders, die sein Schreiben begleiten. Was seine Buecher auszeichnet von Beginn an: sie lassen Zeitgefuehle rekonstruieren. Eine Eigenschaft, die sie weniger mit anderer Literatur teilen als mit Popmusik.
Durch Handke stroemen Stimmen, Gefuehle, Musiken und Bilder einer jeweiligen Zeit und einer bestimmten Generation, er ist durchlAessig fuer den Leser und die Zeit. Oder in Klaus Theweleits Terminologie: die Sirenen uebertoenen Orpheus, den einsamen Mann, Kuenstler und Gro ssschriftsteller. In Christoph Bertrams Rueckblick auf Handkes Journal aus den Siebzigern Das Gewicht der Welt findet sich folgende BeobCHTUNG: Das Leiden am Gewicht der Welt ist ein Symptom ungluecklicher Koerper, vor allem MAennerkoerper. Die MAenner in Filmen und Buechern der siebziger Jahre sind vergruebelt, schwerfAellig und ungeschickt. Diese MAenner verstehen sich nicht zu bewegen. Sie mi sstrauen der Leichtigkeit des Seins und sprechen vorwiegend in Monologen. Ein solcher Mann begegnet uns zwanzig Jahre spAeter: er ist nicht mehr der Held der Geschichte - sondern sein Gegenheld Felipe. Schon in der Niemandsbucht war es der ErzAehler, der den Koenig, den Bruder ankuendigte, meinen erfolgreichen Bruder, meinen Fast-Zwilling, den stillen Koenig unserer Familie, und den Verlierer noch und noch (von ihm werde ich zu gegebener Zeit vielleicht mein erstes Drama schreiben, mit dem Titel Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit , eine Tragoedie?) Zurueck zu dem Stueck: Jetzt also kein ungeschickter Mann mehr im Zentrum, sondern ein Koenig und das Verlangen nach einem Gesetz des Zusammenlebens. Wer aber verkuendet das Gesetz eigentlich (die Frage nach dem SouverAen) und was verkuendet es ueberhaupt (die Frage nach der Ordnung). Die zweite Frage zuerst: Hier der erste Satz der neuen Verfassung, oder unseres alten Mitternachtsblues: Seid eingedenk, da ss ihr einst in der Knechtschaft wart - bedenkt vor jeder Fremden die eigene Fremde mit! Die ErzAehlerin fuegt hinzu: Und meine Fu ssnote dazu: Stellt euch, was ihr tut oder la sst, als ErzAehlung vor. Ist das moeglich? Ja. Also ist es recht. Ist es unmoeglich? Also ist es unrecht. Und Pablo fuehrt weiter aus: Und die neuen Menschenrechte: Das Recht auf die Ferne, tAeglich. Das Recht des Raumsehens, tAeglich. Das Recht auf Nachtwind im Gesicht, tAeglich. Und ein neues Grundsatzverbot: Das Verbot der Sorge. Und des Gesetzes Leitgedanke: Eruebrigung, endgueltige, jedweder Botschaft und Verkuendigung. Gesetz aus Begehren und Besonnenheit! Mehr erfAehrt man von Pablo nicht, denn die eigentliche Verkuendigung geschieht im Buehnen-Off, den Zuschauern wird sie vorenthalten. Nur der Bruder Felipe hat es aufgeschrieben, mitgedacht, nachbuchstabiert, abgeleitet. Die Abschaffung der Todesstrafe ist das erste -ein Land in dem die Todesstrafe herrscht, hat aufgehoert ein freies Land zu sein; es sind hoechstens noch vereinigte Staaten. - , und schon verliert sich Felipe in einer ErzAehlung, AufzAehlung eigener Beobachtungen, Erinnerungen und Sehnsuechte: Die frostfreien HAende meiner Mutter. Der Osternachtsumhang des Gro ssvaters. Die auftauenden WeidenbAeche. Das Kriechen der sterbenden Schlange unter dem Novembersternenhimmel. Die Spiegelbilder der FledermAeuse bei Sommervollmond in den Dorftuempeln. Die zerfetzten Kadaver der Muetterbrueder im Duenengrab und unter den Tundrasteinen. Das Nimmerwiederkehren meines Vaters. Das Nichtssonst meines Vaters. Das verdammte Gruen der Heimat. Eine Sprache weit weg von jeder Gesetzessprache. Nun kann man das eine - Achtung vor dem Fremden, Verdammung der Todesstrafe - als selbstverstAendlich betrachten und das andere - Recht auf Nachtwind zum Beispiel- fuer lAecherlich befinden. Man wird aber auch sagen muessen, da ss das so SelbstverstAendliche alles andere als selbstverstAendlich ist und uneingeloest - uneingeloest wie die Versprechen eines anderen gro ssen MAerchenspiels der deutschen Literatur, des Nathan von Lessing, und man wird sehen muessen, da ss es Handke sehr ernst ist mit dem Nachtwind als notwendiges Korrektiv gegen jede Politik und Ideologie. UEber das, was also verkuendet wird, lAe sst sich kaum streiten - vielleicht ist es doch das Verkuenden an sich, was befremdet. Wer spricht also? Vielleicht auch: wer kommentiert, wer konterkariert? VOLK: Unsterbliches ist ihm nicht gelungen. IDIOT: Gelobt sei Gott Und weiter: VOLK: Wo bleibt der Koenig des Tags? IDIOT: Wie ueblich haben wir ihn vergessen. VOLK: Ich mache mir Sorgen um ihn, wie jedesmal, wenn er um eine Stufe weiterkommt. Und war das heute nicht seine letzte Stufe? Kein Koenigwerden ohne Menschenopfer. IDIOT: Wer wird das Opfer sein? Er selber? Wir? Wir alle zusammen? Ich habe Angst vor ihm. Und Pablo, zurueckkommend aus seiner Einsamkeit, dem Verkuenden des Gesetzes, sein eigenes Scheitern begreifend, sagt: Einer wird es einmal schaffen. Das haben schon viele gesagt? Umso besser. Pablo hat es nicht geschafft und er ist froh darum, Volk und Idiot sind froh drum, und Felipe und die Fluechtlingin erzAehlen sich ihre eigenen Geschichten des froehlichen Mi sslingens. Auch hier wie bei Botho Srau ss ein Ende, das die gestellte Aufgabe: ein neues Gesetz zu schaffen, scheinbar dementiert. Wirkliche Koenige fordern Menschenopfer, die Gesetze der RealitAet bringen Unheil. Politik und Geschichte sind ZwangszusammenhAenge. Wie in seinen Jugoslawien-Texten bestreitet Handke dem Enklaven-Volk eine Staatlichkeit, eine GeschichtsmAechtigkeit. Gegen das Unheil der Geschichte behauptet und probiert Peter Handke den Exorzismus der einen Geschichte durch eine andere . Die eine Geschichte ist die unsere, die reale - der Faschismus in der Vergangenheit, der Buergerkrieg in der Gegenwart -, die andere ist die Kunst, die ErzAehlung, das genaue Beobachten, die Phantasie, die Wahrnehmung. Die Aufmerksamkeit fuer das Kleine ist Widerstand gegen das Gro sse. 1989 uebernachtete Handke zufAellig im Hotel Terminus in Lyon: ...jetzt erst kam dem Betrachter zu Bewu sstsein, da ss das Hotel Terminus , in dem er die Nacht zugebracht hatte, im Krieg das Folterhaus des Klaus Barbie gewesen war. Handkes Reaktion ist keine politisch-moralische, sondern das genaue Beobachten und Beschreiben: ...und ins ganz offene Zimmer des Hotel Terminus blies der Sommersonntagswind, und endlich beging dann wieder ein KurzAermliger, im Schaukelgang, mit schwarzer Aktentasche auf der Hoehe der Knie, den Eisenbahnweg, seines Zieles gewi ss - so schwang auch sein freier Arm aus, und auf der Schiene landete ein kleiner blauer Falter, blinkend in der Sonne, und drehte sich im Halbkreis, wie bewegt von der Hitze, und die Kinder von Izieu schrien zum Himmel, fast ein halbes Jahrhundert nach ihrem Abtransport, jetzt erst recht. Auch in den Zuruestungen taucht ein Falter auf, wird er zumindest erwartet: PABLO: Und welch ein Licht jetzt. Vorfruehlingslicht. Zitronenfalterlicht. Gleich wird so ein Gelber oder, wie hei sst es im Volksmund?, lieber Koemmling aufkreuzen, und das wird hei ssen: Ein fuer allemal Friede, menschliche Unsterblichkeit. Los zeig dich, Falter, gro ss wie ein Drachen. FELIPE: Kannst auch kleinwinzig sein. FLUECHTLINGIN: Loes dich von deinem Blatt oder deiner Knospe. VOLK und IDIOT gemeinsam: Steig auf vom Staub. Schauckle. Gauckle. Gelbe Mutterfarbe. Dann fast ALLE: Ich ruehr mich nicht vom Fleck, ehe du nicht dein Zeichen gibst. La ss dich anschaun. Hier, genau hier, ist das Gesetz zu lesen, das Peter Handke seit ueber zwanzig Jahren immer wieder verkuendet: La ss dich anschauen . Ein fluechtiger Augenblick eines ja als Gesetz erfahrenen ANDEREN Lebens (Ende des Flanierens): der epiphane Moment ist also die Quelle des geoffenbarten Gesetzes, das nach seiner dauerhaften UEberlieferung im Medium der Schreibens verlangt. In diesen Epiphanien, in diesen Dreikoenigsfesten - den Erscheinungen des Herrn im Menschen - erloest das Ich sich vom historischen Schuldzusammenhang und prAedestiniert sich selbst zum Erloeser. Es ist ein offen ausgesprochenes Gesetz, und der es ausspricht ist Gott, und der diesen Gott spielt, hei sst Peter Handke. In der Langsamen Heimkehr schreibt Sorger, der Protagonist und ErzAehler: Ich lerne (ja, ich kann noch lernen), da ss die Geschichte nicht blo ss eine Aufeinanderfolge von UEbeln ist, die einer wie ich nur ohnmAechtig schmAehen kann - sondern auch, seit jeher, eine von jedermann (auch von mir) fortsetzbare, friedensstiftende Form. (...) Meine Geschichte (unsere Geschichte, ihr Leute) soll hell werden, so wie der Augenblick hell war(...). Ich glaube diesem Augenblick: indem ich ihn aufschreibe, soll er mein Gesetz sein. Klaus Theweleit schreibt: Der Unterschied zwischen traditionellen Gro ssartisten und Popkuenstlern ist der, da ss die ernsthaften Artisten eher heimlich Gott sind oder waren und die Popartisten offen. Da sie es offen sind, koennen sie diese Lieblingstatsache ausstellen. In der Inszenierung wird Gott eine Performance; er kann damit wieder verschwinden, abtreten - wAehrend der alte Artist an Kreuzbauten bastelt. Botho Strau ss straft uns und diese verkommene Gesellschaft mit BocksgesAengen , wAehrend Handke die alte Idee des Kuenstlers als SAenger des Volkes neu spielt. UEberspitzt formuliert: Handkes Worte wollen die Worte Moses sein, der geheime Dekalog unserer Zeit, die Fortsetzung der Heiligen Schrift. Er ist der Verkuender des Gesetzes, aber - und das ist entscheidend - es ist ein Gesetz ohne Botschaft und Ideologie, ein Augenblicks-Gesetz ohne Geschichte: offen und durchlAessig fuer die Stimmen der anderen. Das einzige, was mir im Leben wirklich gelungen ist, worauf ich stolz bin, ist, ein Weltbild vermieden zu haben. , sagt Handke selbst. Wortsound statt Wortsinn. Was leistet also das Gesetz und der Koenig? Vielleicht dies: VOLK: Ich habe mehr auf den Wind gehoert als seine Stimme und das was er gesagt hat. IDIOT: Aber ohne seine Stimme und das, was er gesagt hat, hAette ich nicht so auf den Wind gehoert. Die Herausforderung des Augenblicks? Vielleicht ist es dies: auf den Wind hoeren. Was immer auch jeder da hoeren mag. 6. Das Projekt. Um die Wichtigkeit und Bedeutung der Auseinandersetzung mit dem Stueck von Handke zu unterstreichen, werden wir einen fuer StadttheaterverhAeltnisse relativ ungewohnten Weg gehen und die Probenzeit auf ein Jahr fast verteilen. In vier Abschnitten werden einzelne Themenkomplexe und szenische Fragmente des Stuecks spielerisch erkundet und dargestellt. Gleichzeitig werden unterschiedliche Raumsituationen vorausgesetzt, die den jeweiligen Themen den angemessenen Rahmen abgeben, so da ss das Projekt auch eine kleine Reise/Wanderung zu Orten des Staatstheaters ist. Begonnen wird am 27. MAerz mit dem Abschied des TrAeumers vom neunten Land in der Cumberlandschen Galerie, diesem geschichtstrAechtigsten Raum unseres Theaters. Der Autor Peter Handke wird sich da mit seiner Herkunft und seinen Obsessionen und TrAeumen darstellen und seinen Gro ssvater sprechen lassen, der in der ersten Szene des Stuecks dies Traumland zur Gegenwehr gegen den drohenden Zerfall, bzw. das drohende Verschwinden auffordert. Die Frauen werden zum ersten Mal auftreten, die am Ende des Krieges zwei vaterlose Jungen zur Welt bringen werden, die dieser Aufforderung des Ahnherren mit den Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit nachkommen werden. Im Mai dann bewegen wir uns weiter in das Foyer des Schauspielhaus, diesen kalten klaren hellen fensterreichen Raum, der in seiner Schnoerkellosigkeit fast so etwas wie ein Gegenentwurf zu dem alten Treppenhaus ist. Dies ist der ideale Ort fuer die RaumverdrAenger und ihr Konzept einer Neuerschaffung der Welt durch Entzaubern des Raums, durch Versachlichung, Enthistorisierung des Raums. Die sich dagegen aufbauende Figur der ErzAehlerin hAelt dagegen die ErzAehlung als schoepferische Verzauberung der Welt hoch und fordert mit ihrem Erscheinen zum Wahren der Traditionen auf, zum Aufrechterhalten des Diskurses des Ureigenen, der eigenen Geschichte und der Utopien, die sich daran anknuepfe. Zwei AufsAetze von Walter Benjamin sind uns hier Folie und Orientierung fuer das Erscheinen des Volks und des Idioten, des HAeuptlings und der ErzAehlerin: Zum einen Erfahrung und Armut , eine illusionslose Bestandsaufnahme einer die Erfahrungen vernichtenden Zeit und die Formulierung eines antiresignativen Gegenentwurfs dazu, der bei Benjamin positives Barbarentum hei sst. Zum anderen Der ErzAehler , wo Benjamin an die gro sse Kunst des ErzAehlens erinnert, die unsere Kultur bis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein geprAegt hat.) Im Juni werden wir beide Teile nocheinmal im Zusammenhang zeigen und zum Schlu ss der Spielzeit Teil drei Warten auf den Koenig nennen. Hier, vor dem Ballhof sitzen die beiden Muetter Pablos und Felipes und feiern die neue Zeit, Volk und Idiot, die ganze Enklave wartet auf die Heimkehr Pablos, des neuen Koenigs. Das wird ein kleines Fest, mit dem das gro sse Fest, Staatengruendung, Deklaration einer Verfassung und Kroenung des Koenigs vorbereitet wird, nicht unbedingt mit Pauken, mit Trompeten, aber vielleicht und Bier und Wein. Danach, mit dem Beginn der neuen Spielzeit im September ziehen wir in den Ballhof und spielen die Rueckkehr des Helden Pablos, die Ausrufung des Staates und die Erfindung einer Enklavenhymne. Danach dann wirds ums Ganze gehen. Ich war jedesmal heilfroh, wenn ich wieder drau ssen war! Obwohl es schoen sein kann. Schoen, wieder drau ssen zu sein. Das Drau ssen wird dann umso schoener. (Peter Handke)
ÃÆ’‚©Michael Boergerding und Hartmut Wickert


Datum: 17.06.1997
Ressort: Kultur
Autor: KROEKEL
Peter Handkes ganz einfache Errettung dieser schnoeden WeltEs ist wahrlich ein Kreuz mit dieser boesen Welt! Doch zum Glueck gibt es ja Peter Handke, der uns mit seinen Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit wieder mal sagt, wo es langgehen koennte: Es muss eine andere Gesellschaft her! Da hockt also auf der Buehne des Deutschen Theaters resigniert der arme alte Grossvater (Otto Mellies), umstellt von seinen zwei Toechtern (Claudia Geisler, Bettina Kurth). Und die sind schwanger. Die aus einer Vergewaltigung hervorgegangene Leibesfrucht Pablo (Thomas Dannemann) ist ein ansehnliches Cleverli, das in Liebe gezeugte Wesen Felipe (Ste-phan Grossmann) ein koerperbehindertes Dummerchen. Nun koennen deren lebenspraegende Begegnungen der unheimlichen Art mit Gut und Boese nachvollzogen werden: mit dem Volk (Fritz Schediwy), dem Idioten (Horst Lebinsky), der Raumverdraengerrotte (Thomas Bading, Matthias Hoernke, Lars Eidinger, Kay Schulze), auch Tieren. Fragt sich also, wer kommen koennte, diese Welt wieder einzurichten. Der Szenensalat, angerichtet mit agitatorischem Polit-Dressing und Endlosmonologen, legt die Vermutung nahe, dass Handke sich selbst fuer so einen Messias von Format haelt. Regisseur Juergen Gosch uebt vornehme Zurueckhaltung. Klischees und Wortgewaber bringt er pur auf die Buehne. Sein Inszenierungsstil setzt nicht auf pralle Schauspielerei, so dass in den qualvoll langen vier Stunden Fragen entstehen: Sitzt man wirklich im Deutschen Theater? Warum wird das Stueck gespielt? Fuer wen? Denn die von Handke gemeinten Boesewichter dieser Welt sitzen ohnehin nicht im Parkett. Nur veraergerte Steuerzahler.[zurueck zu den Suchergebnissen] [Neue Suchanfrage] [Weitere Artikel vom 17.06.1997]



Frankfurter Rundschau vom 14.05.1997 Seite 7 Ausgabe: D Ressort FEU Ein Spass. Handke, zum dritten. HAMBURG. Wenn der leichte blaue Vorhang, dem ein riesiges phallisches Objekt - Luftballon oder Zeppelin? - aufgemalt ist, sich hebt, blickt man auf eine gelbe Schraege mit sandiger rauher Oberflaeche, in die einige tiefe Spalten eingelassen sind; ein Muehlrad und ein Bueschel Getreide deuten Laendlichkeit an, ein Tor markiert den Eingang. Darum herum, scheinbar in weiter Ferne, zieht sich ein schwarzes Rund, darueber woelbt sich ein wolkenuebersaeter blauer Himmel, ihm eingezeichnet ist ein Geviert wie ein Fernsehschirm. Das Buehnenbild von Bernhard Kleber entspricht aufs Schoenste dem Schauplatz von Peter Handkes Koenigsdrama, einer Enklave, einer Zuflucht fuer ein kleines Volk, das umgeben ist von Fremden. Dieses Buehnenbild gibt Raum fuer Phantasie. Nach der Urauffuehrung in Wien und der deutschen Erstauffuehrung in Frankfurt ist das Hamburger Thalia Theater die dritte Station fuer die Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit, Handkes juengstem Theaterstueck, das allen Zuruestungen fuer ein Drama jedoch total widerspricht. Ein Volk sucht nach jahrelanger Demuetigung nach einer neuen Identitaet, in Pablo, einem Jungen, der in einer Vergewaltigung durch feindliche Soldaten gezeugt wurde, erkennt es den Heilsbringer und kuenftigen Koenig. Die Handlung entwickelt sich nicht in dialogischer Auseinandersetzung, sondern in einzelnen Auftritten, in Monologen, Beschwoerungen, Verkuendigungen. Dabei verweist das Konkrete, auf den momentanen Zustand Gemuenzte auch immer ins allgemein Bedeutsame. Der Regisseur Jens-Daniel Herzog versuchte die Anforderungen des Textes zu unterlaufen, indem er sie nicht ernst nahm. Er wendete Handkes grosse Worte und fand ihre komischen Seiten, er machte den Anspruch aufs Erhabene klein und richtete sich das Personal zu als ein Panoptikum skurriler Figuren. Da ein hochrangiges Ensemble mit trefflichen Schauspielern am Werke war, funktionierte das phasenweise sehr gut, nur letztlich ebnete der Spass alles ein. Die Raumverdraenger beispielsweise, die als gewalttaetige Rotte den Enklavenstaat immer wieder bedrohen, verloren ihre Gefaehrlichkeit, egal ob sie als Comic-Helden oder als smarte Geschaeftsleute kostuemiert waren. So ging dem Stueck noch der letzte Rest an Spannung verloren. Erzaehlt wurde in dieser Inszenierung ein putziges Maerchen um dem netten Jungen Pablo - Achim Buch, der die Rolle schon in Frankfurt gespielt hatte und fuer einen erkrankten Hamburger Kollegen eingesprungen war -, der, getrieben mehr von anderen denn aus eigenem Antrieb, die Welt in Ordnung zu bringen versucht. M.L. Die naechsten Auffuehrungen im Thalia Theater, 26. und 28. Mai, 3. Juni. Datenbank FR Dokumentennummer: 05120371

AND HERE ARE TWO PIECES FROM THE FRANKFURTER RUNDSCHAU

Frankfurter Rundschau vom 10.02.1997 Seite 7 Ausgabe: D Ressort FEU Koenigsweg zur Welt-Erloesung?. Claus Peymanns Urauffuehrung von Peter Handkes Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit. WIEN. Peter Handke hat dem Theater einen Text geschrieben, der Regisseuren, Buehnenbildnern, Schauspielern und dem Publikum vorschlaegt, sich einzulassen auf Formen eines szenischen Erzaehlens, die den dramatischen Konventionen angestrengt nicht entsprechen wollen. Seit Handke Mitte der sechziger Jahre als Theaterautor mit Publikumsbeschimpfung debuetierte, hat er mit beinahe jeder neuen Arbeit auch neue Dramaturgien und Redeweisen entwickelt und zur Erprobung angeboten - Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit, jetzt uraufgefuehrt am Wiener Burgtheater, ist fuer diese Praxis einer sich fortschreibenden Generierung nicht-normativer Konzepte des Theatralischen wieder ein Beispiel. Wie die frueheren kann auch diese juengste Herausforderung fuer die, die sich ihr stellen - soviel hat Claus Peymanns Inszenierung schon gezeigt - anreizend und jedenfalls fuer die UEberpruefung allzu festsitzender, eingeuebter Mittel der Darstellung produktiv sein. Die formale Provokation ist in dem aktuellen Fall allerdings von einer Art, die sich vom Theater mit guten Gruenden ebenso auch zurueckweisen liesse. Es handelt sich naemlich um eine riskante Verschraenkung literarischer Gattungen: Die Grundfigur von Zuruestungen ist die des Monologs, im Charakter lyrisch, dem Gedicht, dem Gesang, der Ballade oder auch der Predigt naeher als der dialogischen Struktur der dramatischen Konfrontation. Szenisch gedacht sind vor allem die in ausfuehrlichen Anweisungen des Textes beschriebenen, mitunter ausdruecklich als wortlos gekennzeichneten Bilder. Fuer deren Entfaltung haben Peymann und sein Buehnenbildner Achim Freyer in Wien einiges an Aufwand eingesetzt: Die Gefahr, dass das Szenische, weil von Handke sonst zu wenig bedacht, sich nur als Ausstattungstheater noch zur Geltung bringt, ist dabei immerhin zu erkennen. Wenn die Sprache aller Figuren auf manierierte Weise mit dem Stillstand kokettiert, indem sie fast immer das substantivierte Verbum dem Taetigkeitswort vorzieht, erscheinen die dem stummen Bild anvertrauten Bewegungen zwangslaeufig als erschlichene Ersatzformen. Wirkt also der ganze Entwurf als Vorlage fuer das Theater schon unter formalen Aspekten problematisch, so noch mehr in Hinsicht auf die beabsichtigte Botschaft. Handke spricht im Untertitel von einem Koenigsdrama. Das legt einen gesellschaftlichen, politischen Zusammenhang nahe. Dieser Weltbezug ist aber eine Taeuschung: Weil Welt und Gesellschaft nur gemeint sind als der Stoff, ueber den, vorgetragen mit geradezu missionarischem Elan, ein radikaler Subjektivismus zum Triumph gefuehrt wird. So wird, in einer der zentralen Predigten des Textes, der Grosse Friede bis zu den letzten Monden, Ziel einer neuen Ordnung, abgeleitet aus dem abenteuerlichen Frieden im Muster einer Baumrinde, im nassen Asphalt an einem Sonntagabend. Und als eines der neuen Menschenrechte wird gefordert das Recht auf den Nachtwind im Gesicht, taeglich. Zur Sicherung dieser Art von nicht politisch, sondern poetisch fundierten Verfassung gilt als neues Grundsatzverbot: Das Verbot der Sorge. Die minimalistische, stimmungstraechtige Wahrnehmung des Fluechtigen (der nasse Asphalt an einem Sonntagabend) wird beschworen als Zuruestung fuer die Unsterblichkeit einer Weltordnung, die von haesslichem Leben im Jetzt und Jetzt erloesen kann. Das subjektiv erlebte Ephemere begruendet das Bleibende des Gluecks einer - ohne Sorge - sich endlich befreienden Gemeinschaft. Peter Handkes obsessiver Egoismus, in Mein Jahr in der Niemandsbucht Antrieb fuer eine grosse, einnehmend dichte Erzaehlung (und zugleich deren Thema), treibt in dem Text fuer das Theater, das als Medium dem Gesellschaftlichen anders verbunden und verpflichtet ist als der Roman, sektiererische Erloesungs-Kitsch-Blueten. Das Koenigtum: Hier wird es zum pompoesen Schutzbegriff fuer dumpf waberndes Gefasel, in dem die Verhaeltnisse wie sie sind allenfalls als sehr ferne, dunstige Erinnerung (an Machtkaempfe, Kriege, Untergaenge) noch vorkommen. Der sich in dem Text zum Koenig entwickelt, ist Pablo. Seine Mutter gebar ihn nach einer Vergewaltigung durch den Soldaten einer Invasionstruppe, die in eine lange Zeit von Frieden beglueckte Enklave eingefallen war. Der Ahnherr der Bewohner dieser Enklave bestimmt Pablo wie dessen gleichaltrigen Vetter Felipe zu Raechern ihrer gefallenen Vorfahren. Pablo und Felipe bilden allerdings schon als Knaben ein ungleiches Paar: Einem gelingt alles, waehrend der andere in allem versagt. Es ist Pablo, der sich gegen eine Horde anderer Kinder durchsetzt, indem er merkwuerdige, geheimnisvolle Kraefte mobilisiert. Das Volk, unter dem die beiden aufwachsen, wird vertreten von einem Menschen, der, oft in Begleitung eines Idioten, eine unscharfe, schwankende Figur abgibt, einerseits deprimiert von der OEde unserer Heimat, andererseits zu ploetzlich ueberschwaenglichen Visionen imstande. Eine Raumverdraengerrotte tritt auf, drei Rabauken, gefuehrt von einem rhetorisch begabten Haeuptling: Die Bande steht fuer die Schrecken der Tatmenschen, der Zerstoerer von unmittelbaren Lebensumgebungen, fuer die Propagandisten von Cyberspace und virtuellen Raeumen, Reiz statt Raum ist ihre Parole. Pablo verlaesst die Enklave. Als er zurueckkehrt, draussen auch durch allerhand fragwuerdige Leistungen zum Helden geworden, will er in Zukunft zu Hause zwar besser ein Geduldiger sein als ein Held, draengt aber zugleich auf die Schaffung eines neuen Gesetzes. Handke stuetzt die Figur nun durch die Verbindung mit einer wandernden Erzaehlerin: Sie ist die eigentliche Erloesungsgestalt, Inkarnation der Kraefte des Dichterischen, der Poesie, die Pablo dazu veranlassen sollen, der Begruender jenes neuen Koenigtums zu werden, dessen Prinzip das einfache Anschauen ist. Als das Gesetz verkuendet ist, hat die Erzaehlerin das letzte, anfeuernde Wort. Die Raumverdraengerrotte bleibt freilich, ein Rest von Wirklichkeitssinn, im Hintergrund gleichzeitig praesent: Mit dem ewigen Frieden ist es noch nicht so weit. Diesem, von vielen Widerspruechen in den Figuren und mancherlei Raetseln durchkreuzten, durch monologische Tiraden immer wieder zum Stillstand gebrachten Verlauf der Erzaehlung werden mehrmals sprachlose Partien eingeschoben, enigmatische Vorgaenge: ein ploetzlicher Schneefall (das Vergessen?), der Absturz brennender Papierflugzeuge (Krieg?), das Niedersinken der schwarzen Feder eines Riesenvogels (Leviathan?), AEpfel (der Erkenntnis?), die herumrollen, der Gang eines jammernden Kindes mit einer beleuchteten Glaskugel quer ueber die Buehne (Weltschmerz-Penetranz?). Fuer die Wiener Urauffuehrung, der Inszenierungen zunaechst in Frankfurt, spaeter in Berlin und Hamburg folgen sollen, hat Achim Freyer diese Bilder auf einer angeschraegten Buehne ermoeglicht, die er als meist im Halbdunkel gehaltenes Gelaende vor einer Bergkette im Hintergrund mit einem Schlagbaum zur Kennzeichnung der Enklave, einem gestuerzten Portal, einem aus Papier gefalteten Totenschiff, einem halb im Boden versunkenen Rad der Fortuna als eigenwilliges Environment ausgestattet hat. Nicht des Buehnenbildes, sondern der ihnen zugedachten Texte wegen haben die Schauspieler Schwierigkeiten, sich zu behaupten: Zum Ausgleich des undramatisch Statischen der Sprache Handkes bemuehen sie sich forciert um gestischen Ausdruck. Gert Voss (Pablo) kaempft sichtlich mit allen ihm reichlich verfuegbaren Mitteln um Praesenz und Lebendigkeit fuer die Figur, erstaunlich ist oft die Plausibilitaet, die er ihr gewinnt. Den Vetter Felipe, den Versager, laesst Johann Adam Oest tapsig-kindlich daherkommen, Martin Schwab macht das muerrisch-staunende Volk, Urs Hefti einen behenden Idioten. Von scharf geschnittener Boesartigkeit ist der Haeuptling der Rabauken Florentin Grolls, souveraen eroeffnet die Klage des Ahnherren Wolfgang Gassers das Spiel, Traute Hoess und Ursula Hoepfner, in den Rollen seiner Toechter, geben die Muetter von Pablo und Felipe, so ungleich wie ihre Soehne. Therese Affolter bleibt als Fluechtlingin in einem vielleicht zu zierlich-naiven Timbre. Anne Bennent findet fuer Handkes erloesende Erzaehlerin wunderbar leichte, oft fast taenzerische Bewegungsablaeufe. Claus Peymann hat mit diesem Ensemble glaenzender Einzelspieler unbestreitbar fuer Handkes Vorlage viel getan. Er hat sie entspannt, gelockert, das Pathetische gemildert, eine leise Ironie unterlegt (das Gesetz verkuendet Voss im Gewand eines Mainzer Hofnarren). Bewundernswert ist der Mut des Regisseurs und des Theaterdirektors, sich hinaufzuwagen in die unerschlossenen Steilwaende von Angeboten wie Peter Handke sie ihm ueber die Jahre immer wieder gemacht hat. Peymann war der einzige Theatermensch, der damals fuer Publikumsbeschimpfung in Frankfurt zu gewinnen war - seine Begeisterungsfaehigkeit hat er sich erhalten, sie ist eine schoene (und seltene) Qualitaet. Wenngleich sein Enthusiasmus ihn bisweilen auch dazu bringt, sich im Gebirge zu versteigen; und dann den Blick zu verlieren fuer das Unterland der wirklichen Lage der Dinge. Termine: 10., 19., 20., 22., 23., 24. Februar, jeweils 18.3 Uhr. Autor: Von Peter Iden Datenbank FR Dokumentennummer: 02090709


Bund; 1997-03-22; Seite Z4; Nummer 68
literatur
Kunstgewerbliche Selbstinszenierung
Peter Handkes neues Koenigsdrama
Th. T. Sein neues Stueck Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit, das er als ein Koenigsdrama bezeichnet, hat Peter Handke fuer das Wiener Burgtheater geschrieben, wo es am 8. Februar von Claus Peymann uraufgefuehrt wurde. Langer Beifall der eingeschwore- nen Handke-Gemeinde, zwiespaeltige
Peter Handke
ZURUESTUNGEN FUER DIE
UNSTERBLICHKEIT
Ein Koenigsdrama. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt a. M. 134 Seiten. Fr. 32.-.
Reaktion der Kritik, die mehrheitlich die szenische Interpretation dem Stueck selber vorzog. Der in Buchform erschienene Text erlaubt eine UEberpruefung seiner Qualitaeten beziehungsweise Maengel.
Handkes Koenigsdrama bildet den Abschluss einer Trilogie, in welcher Das Spiel vom Fragen und Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten vorangingen. Begonnen hat Handke dieses szenische Genre mit der Mischung von Gleichnis, Maerchenspiel, Welttheater und Moralitaet bereits mit dem dramatischen Gedicht UEber die Doerfer (1980), ohne dass er als Dramatiker mit dieser Form zu ueberzeugen vermochte. Dem forcierten Symbolismus haftete unuebersehbar eine uebersteigerte kunstgewerbliche Kuenstlichkeit an, die fuer sich den Zauber der Poesie in Anspruch nahm, in Wirklichkeit aber nie um eine sperrig-gestelzte Sproedheit herumkam.
So auch in dem neuen Werk, das in einer vom Kriege versehrten Enklave spielt, die um eine eigene Position in der neuen Weltordnung ringt. Im Mittelpunkt stehen zwei junge Maenner, die ausersehen sind, ihrem Volk den Weg zu weisen: der koenigliche Pablo und der verkrueppelte Felipe, durch welche der Traum einer Welterneuerung eingeleitet werden soll, der nach des Dichters Willen (und als seine Ausflucht) durch die fremde Erzaehlerin nur im Element der Erzaehlung realisiert wird. Das in seinen Intentionen und Anspruechen hochgestochene Monsterstueck erweist sich als eine Mischung von Heilspredigt, Selbstinszenierung, Kitsch und schwer ertraeglicher Verschmocktheit.
Welterneuerung durch Literatur? Peter Handke.
Isolde Ohlbaum 
2001 / Der Bund Verlag AG, Bern und Autoren / www.eBund.ch