===hour===# 2====

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Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten

Eher kleinteilig ging das Festival =Tanz im August= zu Ende

Michaela Schlagenwerth

Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten= heisst eines der schoensten und raetselhaftesten Theaterstuecke von Peter Handke. Kein Wort wird gesprochen. Es gibt nur eine Flut von Figuren, die nach den Regieanweisungen des Autors den Raum durchqueren. Ein nicht enden wollendes, irrlichterndes Kommen und Gehen, das sich jenseits der Sprache zu einer Allegorie ueber das Leben verdichtet.

Im vergangenen Dezember hat sich die Choreografin Maguy Marin im franzoesischen Rillieux-la-Pape ihre eigene =Stunde, da wir nichts voneinander wussten= gezaubert. =Umwelt= heisst das Stueck, das jetzt zum Abschluss des Festivals =Tanz im August= in der Volksbuehne zu sehen ist und wie eine harte, duestere Paraphrase auf die poetische Handke-Stunde wirkt. Eine Stunde weht ein starker Wind ueber die Buehne, eine Stunde rauschen orkanartige, elektronische Geraeusche aus den Boxen, eine Stunde bewegen sich die Figuren nicht aus einer im Buehnenhintergrund aufgebauten Installation heraus - aus einem Wald von verspiegelten, duennen, sich im Wind hin und her biegenden Metallplatten. Immer nur fuer Sekunden sieht man die neun Akteure, wie sie in aepfel, Sandwiches und riesige Fleischkeulen beissen, sich Pullover, Maentel, Muetzen ueberziehen, Babys im Arm wiegen, Koenigskronen und Soldatenhelme, Braut- und Abendkleider tragen, sich schlagen oder auch umarmen und manchmal verloren in die Ferne winken.

Maguy Marin, die zu den renommiertesten Choreografinnen Frankreichs zaehlt, steht im Ruf, fast alle ihre Arbeiten konsequent aus nur einer Idee zu entwickeln. Viel Abwechslung gesteht sie - trotz des unaufhoerlichen Kostuemwechsels - den Zuschauern auch in =Umwelt= nicht zu. Etwas Unheimliches, Entruecktes eignet der Szenerie, weil die Figuren ihren ganz alltaeglichen Verrichtungen auf einem eigentlich unertraeglichen Planeten nachzugehen scheinen. Von den sich enervierend in die Gehirne der Zuschauer saegenden Windgeraeusche sind sie voellig unberuehrt. Es entwickelt zuweilen eine enorme Dichte, wie die Taenzer immer weiter machen und nicht aus sich heraustreten koennen. Aber Laengen hat dieses Stueck auch. Es ist, wie fast der gesamte =Tanz im August 2005=, harte Arbeit.

Denn wenn das Festival auch mit vielen grossen Namen lockte: Die meisten zeigten nur kleinere, experimentelle Produktionen. Es war ein Festival der Soli, Duette, Trios. Die grossen sinnlichen Produktionen fehlten ganz, bis auf die Eroeffnung durch die Kanadierin Marie Chouinard. Aber diese gehoeren auch bei einem Festival, das sich die Praesentation von zeitgenoessischem Tanz auf die Fahnen geschrieben hat, unbedingt dazu.

Sicher kann es auch in der kleinen Form Arbeiten von delirierender Schoenheit geben. Das zeigte nicht zuletzt im Hau 1 der von Anne Teresa de Keersmaeker gemeinsam mit Salva Sanchis erarbeitete, auf klassischer indischer Raga-Musik basierende Abend =Desh=. In Indien wird der Raga Desh traditionell zu Beginn der Regenzeit gespielt. Die von de Keersmaeker, Sanchis und Marion Ballester getanzten Partien schienen einer Regel des klassischen indischen Tanzes zu folgen: Die Haende gehen mit den Augen, und die Augen gehen dahin, wo das Herz ist. Aber bei aller Schoenheit: Im Mai diesen Jahres hat die belgische Choreografin =Desh= zu einem grossen Stueck fuer ihre Compagnie weiterentwickelt. Es soll zu ihren herausragenden Arbeiten gehoeren und man fragt sich, warum die Veranstalter bei den schon so zahlreichen kleinteiligen Stuecken im Programm hier nicht zugriffen.

Die grossen Buehnen des Haus der Berliner Festspiele oder der Volksbuehne - die ja auch fuer Marin, Forsythe und Batsheva ihre Tueren oeffneten - haetten sicher auch fuer ein grosses Keersmaeker-Gastspiel zur Verfuegung gestanden. Wirkliche Flops gab es dafuer beim diesjaehrigen Festival auch kaum zu besichtigen und die beiden Arbeiten, die die Praesentation auf dem Festival nicht verdienten, kamen ganz zum Schluss: Im vergangenen Dezember hatte der Choreograf Juan Dominguez einen ungeheuer witzigen Auszug aus einer gerade entstehenden Arbeit gezeigt, =The Application==. Doch aus der Geschichte um einen Choreografen, der sich um Foerderung bewirbt und ueberlegt, welche Kunst er dafuer machen will ist in der Langfassung im Hau 2 nur mehr ein fader Aufguss geworden.

Die zweite grosse Verunglueckung gab es ausgerechnet unter Federfuehrung der wunderbaren Meg Stuart. Der Improvisationsabend =Auf dem Tisch= ist allerdings am uebergrossen Risiko - und somit durchaus ehrenwert - gescheitert. Jetzt wartet man wirklich ein wenig ernuechtert auf das naechste Jahr.



 


Zugegeben, auf den ersten Blick ungewoehnlich viele beteiligte, ebenso ungewohnt das Stueck. Die Masse der Darsteller jedoch ist unumgaenglich. 1992 schrieb Peter Handke sein zweites Stueck ohne Worte, um die Menschen in ihren Bewegungen, ihrer Mimik und Gestik, ihrer Fremdheit, die sonst nur ueber die Mittel der Zunge ueberwunden werden, zu erfassen.
Die Hauptrolle in diesem Stueck uebernimmt ein Platz. Ein Ort, wie er ueberall und doch nirgendwo existieren kann. Ein Punkt. Viel unterschiedliche Menschen, Fremde, begegnen sich dort; bewegen sich aufeinander zu und voneinander weg.
Elf, vielleicht zwoelf, feste Charaktere begegnen uns immer wieder. Eine alte Frau mit ihrem kleinen =Oma-Porsche=, die langsam durch die Straßen schleicht und ploetzlich, ganz unerwartet, schneller wird, weil einen andere, mit ihr nahezu identische Frau, sie ueberholt. Ein Blinder, der in der Mitte dieses Platzes steht, und den niemand so recht wahrnimmt, der aber selbst alles zu erfahren scheint, ohne es zu sehen.
So wird auch der Tod auf einer Saenfte vorueber getragen, Moses geht vorueber, ebenso Archaeologen und Taenzer, Banker und die Schoenheit in Person. Schlicht: ein buntes Pandaemonium des Lebens, wie es ist und nicht ist.
Peter Handke moechte den Zuschauern das Sehen neu beibringen, will sie genau zuschauen lassen, so dass sie alltaegliche Dinge neu entdecken, fuer das sie bisher blind waren. Das ist zugegeben zunaechst einmal anstrengend.
Nirgendwo ein Wort, an dem man sich festhalten kann, das eine Richtung vorgibt, dem Publikum eine Geschichte vorlegt. Keine Weisheiten oder vorgefertigten Einsichten. Alles muss aus dem eigenen Kopf entstehen, aus der eigenen Fantasie. Ganz so, als wolle der Autor den Zuschauer zum Dramatiker machen, zum Geschichtenerzaehler, der sich die Netze selber spinnt.
Fuer den geuebten Tanztheater-Besucher ist das eine leichte uebung. Fuer den, der epische Brechtstuecke oder Goethe-Dramen mag, ist es jedoch ein schweres Los. Streckenweise erschoepfend, ermuedend sogar. Aber sinnlos? Eher nicht. Denn bei manchem mag es Choreografin Vivienne Newport und den Darstellern (darunter besonders gut Therese Doerr und Frank Watzke) gelungen sein, dem ein oder anderen im Parkett den Schriftstellerblick zu zeigen, das Auge fuer die kleinen Besonderheiten, die Poesie im Alltag eines jeden Menschen.
Was jedoch alles dazu gehoert, welche Puzzleteile den Zauber ausmachen koennten, wird nicht verraten. Steht das Stueck doch unter dem Motto: =Was du gesehen hast, verrat es nicht; bleib in dem Bild.=
Naechste Auffuehrungen: 29., 30. September, 1., 8., 9. Oktober. Telefon Theaterkasse: 0561/1094222, Internet:

www.staatstheater-kassel.de, www. ueberalleberge-kassel.de


 


a brazilian hour [hora]

 


 


 


 


 



Gelungener Start fuer Bochums neuen Intendanten mit Handke-Stueck

Bochum (dpa) - Der neue Bochumer Schauspielhaus-Intendant, Elmar Goerden (42), hat einen Einstand nach Ma gefeiert: Seine Inszenierung von Peter Handkes Die Stunde, da wir nichts voneinander wusstenà wurde vom Publikum mit begeistertem Applaus aufgenommen.

Goerden, Nachfolger des zum Schauspielhaus Zuerich gewechselten Matthias Hartmann, praesentierte mit dem wortlosen Sturck aus dem Jahr 1992 fast 30 Schauspieler in Hunderten Rollen und damit einen Grossteil des Ensembles, das in einer logistischen Meisterleistung im Minuten-Takt die Kostueme wechseln musste. Am Sonntagabend stand Goerdens zweite Inszenierung, Goethes Iphigenie auf Tauris, auf dem Programm.

Das Handke-Stueck, das lediglich aus Regieanweisungen besteht, spielt auf einem belebten Platz. Jogger und Touristen, Soldaten und Tagtraeumer, Strassenfeger und Hochzeitsgesellschaften kommen und gehen, und es bleibt dem Zuschauer urberlassen, sich Geschichten zu den stummen, vertraut wirkenden Begebenheiten auszudenken. Ab und zu kreuzen Figuren aus der Geschichte oder Mythologie die Szenerie: Das Stueck zeigt gleichzeitig Alltags- und Menschheitstheater. Goerden inszenierte ein opulentes Spektakel schnell wechselnder, aber eindringlicher Bilder und Stimmungen zwischen Melancholie und Komik. Neben den Schauspielern und fuenf Taenzer bereicherten auch ein Hund und ein Schaf die Auffuehrung.

 

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Dreimal daneben

Intendant Elmar Goerden beginnt am Theater in Bochum

von Stefan Keim

Ernsthaftigkeit hat Elmar Goerden versprochen und den Mut, Klassiker nicht konsumgerecht aufzupeppen, sondern in die Tiefe zu gehen. Nach den enorm erfolgreichen fuenf Jahren unter Matthias Hartmann sollte eine Phase der Besinnung folgen. Eine Woche vor Saisonbeginn oeffnete Goerden das Bochumer Schauspielhaus zwei Stunden am spaeten Abend fuer eine Art Schweigeprozession des Publikums. Es gab nur das Theater selbst als Installation, in der die Erinnerungen an viele grosse Abende wohnen. Fuer seine ersten beiden Inszenierungen hat Goerden sich Stuecke ausgesucht, die in Bochum wunderbare Auffuehrungen erlebt haben. Und landete zwei schmerzhafte Flops.

=Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten= von Peter Handke ist ein stummes Stueck, das nur aus Regieanweisungen besteht. Hunderte Figuren schlendern, rasen, schleichen und tanzen ueber einen Platz, begegnen sich, es entstehen zum Teil sekundenkurze Liebesgeschichten und Horrormomente.

Es war eine tolle Idee, mit diesem grossen Bildertheater anzufangen, hohe Erwartungen zu entspannen, eine verwehende Welt aus Witz, Schrecken und Poesie auf die Buehne zu bringen. Aber Elmar Goerden findet weder einen Rhythmus, noch praegnante Momente. Perfekt schnurrt eine Theatermaschine ab, oberflaechlich, bunt, immer die schnelle Pointe suchend.

Claus Peymann bei der Wiener Urauffuehrung und Juergen Gosch kurz darauf in Bochum haben bewiesen, dass Handkes Stueck in ganz verschiedenen Sichtweisen ueberzeugen kann. Einmal schoenheitstrunken, luftig und leicht mit Einbruechen nackten Entsetzens (Peymann). Oder bodenstaendig, aus den Begegnungen heraus, die bei aller Kuerze zu knallharten Konfrontationen werden koennen (Gosch). Elmar Goerden hin- gegen sucht keine Brueche. Er gibt sich mit der eleganten Oberflaeche zufrieden, was schnell lang- weilig wird.

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Luftige Kunststuecke, verteufelte Humanitaet

Handke und Goethe: Elmar Goerden eroeffnet seine erste Spielzeit am Bochumer Schauspiel

Von Martin Krumbholz

Manchmal ist das Dessert das Beste. Und manchmal wird das Dessert wie aus Versehen zuerst serviert. Elmar Goerden hat jetzt seine Intendanz am Bochumer Schauspielhaus mit dem Schokoladenschaum eroeffnet: mit Peter Handkes 1993 entstandenem stummen Stueck =Die Stunde da wir nichts voneinander wussten=, mit einem Abend also fuer den Connaisseur, luftig, leicht und ohne tiefere Bedeutung. Danach erst gab es kantige Klassikerkost, Goethes =Iphigenie auf Tauris=. Mit der =verteufelten Humanitaet= des heroischen Dramas strengte der Intendant und erste Regisseur am Haus sich maechtig an, mit dem Maerchenerzaehler Handke aber machte er maechtig Effekt.

Ein Platz, in Paris oder Venedig oder wo auch immer. Ein Obelisk, der aus dem Buehnenbild von Silvia Merlo und Ulf Stengl herausragt, eine Bogenlampe, ein Kanaldeckel, ein Motorroller, ein paar Fahrraeder. Der Fotorealismus, den dieses Ambiente vermittelt, ist verfuehrerisch. Endlos viele Figuren queren in hundert Minuten den Platz, eilig oder bedaechtig, elegisch oder dramatisch: der Fussballfan, der eine brennende Fahne hinter sich herzieht; die verzueckt einen Liebesbrief lesende Frau; die andere Frau im Bluemchenkleid, die von einem ferngesteuerten Spielzeugauto attackiert wird; eine dritte junge Schoene, die im Laufen ihren BH und ihren Slip unterm Kleid abstreift und etliche andere - was erzaehlen sie uns? Dass es sie gibt, dass sie fluechtige Erscheinungen sind und nichts als Theater?

Elmar Goerden inszeniert =Die Stunde da wir nichts voneinander wussten= als wunderschoenen Bluff, als behutsam sich ins Bizarre und Surreale steigernden Bilderreigen. Kaum wahrnehmbar schiebt sich der Obelisk von rechts nach links durchs Bild: Der scheinbare Realismus der Situation wird sacht dementiert. Handkes Maerchentheater verzaubert, verklaert die Welt, ohne dass man genauer wuesste, wie es das zu Stande bringt. Und Goerden, der am Schluss jubelnd gefeiert wird, praesentiert dem Publikum fast das komplette Ensemble, alte und neue Gesichter und viele wunderbare Spieler, die ihr Koennen nur zart andeuten.

Zwei Abende spaeter: Goethes =Iphigenie=. Ein aehnliches Weltverzauberungsprogramm wie Handkes schoenheitstrunkener Impressionismus, aber diesmal stehen nicht zwei Dutzend Spieler auf der Buehne, sondern nur fuenf. Und sie duerfen, muessen sprechen. Merlo und Stengl haben wiederum einen gegenwaertigen Schauplatz geschaffen, ein Podest, das hinten von einer durch Luken durchbrochenen Betonwand begrenzt wird: eine moderne Gefaengnissituation. Christine Schoenfelds Iphigenie gibt folgerichtig einerseits vor, eine heutige junge Frau zu sein; ihr erster Gespraechspartner Arkas (Klaus Weiss) ist ein lustiger netter Rentner mit Pepitahuetchen. Andererseits bleibt das Pathos, mit dem Schoenfeld zumal ihre Monologe vortraegt, doch im Theatralen verhaftet. Goerden verharrt in einer ungefaehren Mitte: Weder loest er sich souveraen von der Vorlage, um eine eigene Lesart zu behaupten, noch haelt er sich asketisch an den blossen Text. Rainer Bock als =menschlicher= Barbarenkoenig Thoas und Oliver Moeller als explizit wahnsinniger Orest entwickeln unterschiedlich temperierte Entwuerfe ihrer Figuren. Gerade da aber, wo man sich privatere Toene erlaubt, wo die Personen die Haende in die Hosentaschen stecken oder laessig die Beine auf den Stuhl ziehen, strahlt die Inszenierung eine gewisse Verlegenheit aus gegenueber dem Anspruch, nur ja up to date zu sein.

=Von hier aus= - so heisst Goerdens Spielzeitmotto. Noch hat sich nicht deutlich herauskristallisiert, wohin die Reise geht: ausser in die grenzenlose Welt des puren Theaters und seiner schoenen Versprechungen.

Weitere Auffuehrungen des Handke-Stuecks am 18., 19., 27. und 29. Oktober, des Goethe-Dramas am 20., 22., 28. und am 31. Oktober

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Paare, Passanten und ein mobiler Obelisk

VON RAINER HARTMANN, 17.10.05, 07:03h

 

Elmar Goerdens erste Premiere galt Handkes =Die Stunde da wir nichts voneinander wussten=.

Wenn ein neuer Intendant seine erste Spielzeit mit Peter Handkes stummem Stueck =Die Stunde da wir nichts voneinander wussten= eroeffnet, dann will er das Theater feiern. Das hat Elmar Goerden, vom Muenchner Staatsschauspiel ans Bochumer Schauspielhaus gekommen, mit seiner Premiere Nummer eins geschafft. Handke entfesselt unentwegtes Hin und Her auf der Buehne. Seine Figuren laufen und stolpern, lungern herum und stehen, lachen und staunen. Sie haben winzige Begegnungen, Erlebnisse, Erregungen. Sie flattern oder flanieren vorueber, markieren mit Kuerzestauftritten auch das Dahineilen der Zeit. Eine Schoene geht vorbei, ein =Platzkehrer= kaempft gegen Sand und Steine, die ein Mann aus seinem Mantel fallen liess, Paare finden und verlieren sich. Und so fort in tausend Bewegungsmomenten. Dabei faellt kein Wort.

Freude an der Geste

Elmar Goerden packt aus, was an Theatersubstanz in Handkes Text steckt. Die Kunst knappster Rollencharakteristik und raschesten Rollenwechsels ist gefragt, die Freude an der praegnanten Geste, am charakteristischen Schritt, am vorgetaeuschten Ausrutscher, an der eingeuebten und bewahrten Spontaneitaet. Manchmal darf man an Improvisationsuebungen fuer Schauspieler denken. Oder an Zaubertricks, wenn der Buehnenwind Tueten oder einen Drachen verweht und wenn hinter einem transparenten Vorhang ein Mann mit Kajak auftaucht.

Lebendigkeit des Theaters, Fuelle der Kurzzeitreize: Dies betont Goerden zum Auftakt seiner Bochumer Intendanz mit Vehemenz und einem spielluestern wirkenden Ensemble: 34 Darstellerinnen und Darsteller, darunter Margit Carstensen, Tana Schanzara und Veronika Bayer, kreisen, kreiseln und kreuzen ueber den meist hell erleuchteten Platz, den die Buehnenbildner Silvia Melo und Ulf Stengl entworfen haben. Der maechtige Obelisk, von dem nur der Unterbau zu sehen sind, wandert waehrend der 100 Minuten von rechts nach links, eine mobile Immobilie!

Mit Bedeutung ueberladen

Doch wird Handkes Wortpartitur mit Bedeutung nahezu ueberladen. Der Meister der =Stunde= mischt etliche biblische oder mythische Figuren unter sein Personal, etwa Abraham mit Opfermesser und Isaak, das Lamm, das der Welt Suende traegt, die Patronin von Toledo mit Loewenfell. Die Idee des Grossen Welttheaters, die in solchen Motiven angelegt ist, hat Goerden verstaerkt. Am Ende ballt eine Menge aus vielen Zeiten und Zonen sich friedlich zusammen. Das belastet Handkes elegante Konstruktion mit schwer wiegender Allegorie.

Als im selben Haus vor 12 Jahren Juergen Gosch das Stueck inszenierte, blieben Form, spielerische Bewegung, der Witz der kontrastierenden Gaenge und Gaengeleien beherrschend. Goerden, der sich in szenischen Details von Handke erheblich entfernt, will die =Stunde= ins Jahr 2005 transportieren, riskiert aber die Balance von aesthetik und Ethik.

Das Publikum feierte ihn und die Truppe enthusiastisch, was im Hinblick auf Temperament und Drive der Auffuehrung wohlverdient ist.

Naechste Auffuehrungen: 18., 19.,

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Witze statt Visionen

Laubsaegearbeiten und keine dicken Bretter: Elmar Goerden beginnt seine Intendanz am Bochumer Schauspielhaus

VON STEFAN KEIM

Die Alte und der Neue, traulich vereint: Bochums Theaterlegende Tana Schanzara, die noch jeden Intendanten des Schauspielhauses ueberlebt hat, bewegt sich inzwischen mit einem Rollwaegelchen ueber die Buehne. Beim Applaus nach der Eroeffnungspremiere sitzt der neue Intendant Elmar Goerden im Gepaeckfach dieses Rollwaegelchens, und Tana schiebt ihn an die Rampe. Eine froehliche, herzliche, entspannte Geste, das Publikum jubelt. Leider war die spontane Szene das beruehrendste Bild an diesem Abend.

Nach den fuenf Jahren Matthias Hartmanns, dessen Erfolg am Ende fast schon unheimliche Dimensionen annahm, wollte Elmar Goerden erstmal Stille einkehren lassen. Eine Woche vor dem Saisonstart oeffnete er das Schauspielhaus am spaeten Samstagabend fuer zwei Schweigestunden. Es gab nichts zu hoeren, nichts zu sehen, nichts zu (be)sprechen, nur das nackte Theater. Und nun als erste Premiere ein stummes Stueck, Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten von Peter Handke.

Huebsch arrangierte Putzigkeit
Der Text besteht nur aus Regieanweisungen. Hunderte von Figuren flanieren ueber einen Platz, begegnen sich, fliehen voreinander - kurze, verdichtete Geschichten von Liebe und Gewalt, Leben und Tod wechseln mit Alltagskleinigkeiten. Handke entwirft eine eigene, poetische Welt, die Realitaet transzendiert aber kein Paradies ist. Claus Peymann hat die Urauffuehrung im Wiener Burgtheater mit mediterraner Leichtigkeit inszeniert, ein sinnliches Wirbelspiel voll menschlicher Waerme, und ploetzlich verreckte ein Mann qualvoll an einem Herzinfarkt. Auch in Bochum gab es schon eine legendaere Auffuehrung dieses Stuecks: Juergen Gosch inszenierte bodenstaendiger als Peymann, in den oft sekundenkurzen Begegnungen taten sich Abgruende auf, die Miniaturen wurden zu Menschheitsdramen.

Elmar Goerden erzaehlt Witze. Handkes Platz ist bei ihm kein lebender Organismus, sondern eine gut geoelte Theatermaschine. Die Schauspieler sausen ueber die Buehne, liefern meist eine kurze Pointe und gehen wieder ab. Das Tempo variiert kaum. Bei Peymann und Gosch erschien eine alte Frau, die Minuten brauchte, um den Platz zu ueberqueren. Und man erfuhr durch sie eine andere Zeitdimension. Goerden verweigert die Wiederentdeckung der Langsamkeit, und deshalb geht seiner Inszenierung bald die Puste aus. Da krabbelt eine vergewaltigte Frau mit blutigen Beinen auf den Platz und gleich wieder hinaus. Was ein Moment des Schmerzes, eine angedeutete Tragoedie sein muesste, ist bloss eine schnell verwehte Irritation. Silvia Merlo und Ulf Stengl haben ein nuechternes Grossstadtbuehnenbild entworfen, ueber das sich ein riesiges Gebaeudefragment fast unmerklich langsam von einer Seite zur anderen bewegt.

Auf diesem Saeulensockel versammelt sich einmal das Ensemble, Papierschwalben stuerzen vom Himmel, die Leute fuerchten sich davor als sei es ein Bombenhagel. Solche Augenblicke, die eine Ahnung von Schrecken hervor rufen, sind selten. Eine der beklemmendsten Szenen Handkes, die Begegnung eines Mannes mit seinem Doppelgaenger, verpufft dagegen voellig. Huebsch arrangierte Putzigkeit ist zu wenig fuer Handkes poetischen Weltentwurf.

Elmar Goerden hat einen interessanten Spielplan vorgelegt, der viele Klassiker und antike Stoffe enthaelt. Er will in Bochum dicke Bretter bohren, begonnen hat er mit Laubsaegearbeiten. Denn auch die zweite Premiere, Lessings buergerliches Trauerspiel Miss Sara Sampson in den Kammerspielen, blieb in Ansaetzen stecken.

Am Anfang ist auch hier das Schweigen. Miss Sara steht hochhackig, mit blonder Proletenperuecke und kettenrauchend in einer Baustelle, ihr Bald-Ehemann Mellefond sitzt auf dem Boden, locker an eine Wand aus Zellophan gelehnt. Lange, viel zu lange passiert nichts. Dann beginnt uebergangslos der Dialog. Regisseur Benjamin Walther wirft einen distanzierten Blick auf das Stueck. Mit Begriffen wie Unschuld und Glaube kann er gar nichts anfangen, auch dem urbuergerlichen Konzept der Liebe steht er skeptisch gegenueber. Aber ohne all das bleibt bloss Leere. Aus diesem Lebensgefuehl heraus befragen die Schauspieler Lessings Tragoedie, steigern sich in koerperliche Ekstasen, pruegeln sich, kuessen sich, begrapschen sich. Textpassagen werden in Endlosschleife wiederholt, Blondinenwitze erzaehlt, einer zieht sich die Hose herunter, ein anderer stottert ewig bis er das Wort =Begierde= ausgesprochen hat.

Unschuldsfantasie und Gift
Benjamin Walther stellt die richtigen Fragen, findet aber keine ueberzeugenden Mittel, um sie szenisch umzusetzen. Gelegentlich finden die Schauspieler bruechige Toene. Doch dann versinken diese Ansaetze in muffig-mauen Regieeinfaellen aus dem Geist des Dekonstruktivismus. Obwohl das Ensemble - vor allem Lena Schwarz als Marwood und Sascha Nathan als Mellfont - grosses Potential erkennen laesst, wirken viele Szenen wie uninspiriert nachgespielter Castorf. Nach einer kitschigen Unschuldsfantasie mit Ballettmaedchen findet der Regisseur erst am Ende zu einem ueberzeugenden Bild. Sara (Claude de Demo) ist am Gift verreckt, ihr abgewiesener Verehrer Waitwell (Christoph Puetthoff) haelt ihre Leiche in Haenden, ihr Vater (Manfred Boell) spielt an der Grenze zum Wahnsinn mit seinem Geschenk, einem Hochzeitskleid. Lampe fuer Lampe geht das Licht aus, und uebrig bleibt Mellfont, der auf einem Stuhl sich windend das Wort =Gnade= haucht.

Bochum hat ein bekannt begeisterungsfaehiges Theaterpublikum, ein neuer Intendant besitzt einen Sympathiebonus. Das ist auch gut so, ein schwacher Start sagt noch nichts ueber die Qualitaet aus in Stunden, da man etwas mehr voneinander weiss.

Bochum, Schauspielhaus, =Die Stunde, in der wir nichts voneinander wussten=: 18. und 19. Oktober, 5., 6., 11., 12. und 16. November. Kammerspiele, = Miss Sara Sampson=: 2., 6., 8., 11., 18., 26. und 30. November,

www.schauspielhausbochum.de

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